Pfad der Seelen
stand wieder alles zwischen uns, was ich ihr über den Pfad der Seelen erzählt hatte, über meine Mutter, die im Seelenrankenmoor gestorben war. Sie vertraute mir nicht. Ich konnte spüren, wie sie sich zurückzog.
» Ich habe zu arbeiten, Roger.«
» Ich gehe schon«, sagte ich kühl. Verdammt sollte sie sein – ich tat doch mein Bestes. Und nun wusste ich, weshalb Königin Caroline während der ganzen Tage der Belagerung so ruhig gewirkt hatte. Sie hatte von den mächtigen neuen Waffen gewusst, die ihre wilden Verbündeten bringen würden. Ich wollte hinauf auf die Zinnen gehen, oder sogar auf den Glockenturm steigen, um mir selbst ein Bild von der Lage machen zu können, aber ich traute mich nicht. Ich durfte nach wie vor nur dorthin gehen, wohin die Königin mich schickte. Ich war nach wie vor der Narr der Königin.
Das Abendmahl für Lord Solek und seine Hauptmänner fand in der neuen Audienzkammer der Königin statt, die sich verwandelt hatte. Fort waren die kühlen Blau- und Grautöne von Königin Eleanor. Die Verwalter, die den ganzen Nachmittag herumgelaufen waren und geflucht hatten, hatten die königlichen Gemächer neu gestaltet. Grüne Stoffe hingen von Wänden, an denen noch niemals Stoff gehangen hatte, zu Girlanden und Vorhängen drapiert, die von grünen, juwelenbesetzten Bändern gehalten wurden. Damit der Ort nicht zu weiblich wirkte, hingen Schilde zwischen dem Samt und dem Satin. Der hohe Tisch war mit grünem Damast belegt, und dort saßen die Königin, Lord Robert, ihre drei vertrautesten Ratgeber, Lord Solek, drei seiner Häuptlinge und ein Übersetzer. Zu meiner Überraschung war dort auch die dreijährige Prinzessin Stephanie. Die Farbe der Prinzessin war violett, und ihr Kleid war dem ihrer Mutter nachempfunden, aber höher geschlossen. Sie saß blass und ernst da, und auf ihrem dünnen Haar lag ein kleiner goldener Reif mit einem einzelnen Amethyst.
Der übrige Hof saß an den niedrigeren Tischen des Saales, alle unter einem rasch errichteten Podium, auf dem der Maskentanz stattfinden würde. Ich stand bei der grünen Garde hinter dem hohen Tisch, versöhnt mit der Tatsache, nichts zu essen zu bekommen. » Ich werde dich heute Abend brauchen«, hatte die Königin gesagt. » Höre überall gut zu.«
Wie es sich herausstellte, gab es nicht viele Hinweise, die ich belauschen konnte. Die Königin und ihre Ratgeber fingen an, den Besuchern die üblichen Komplimente zu machen, alles vermittelt durch Eammons, aber Komplimente schienen Lord Solek und seinen Häuptlingen nicht zu behagen, und man äußerte auch keine Komplimente im Gegenzug. Also ließ sich die Königin stattdessen auf ein Spiel ein, fragte nach den Namen von Dingen in der Sprache der Wilden, wiederholte sie artig und lehrte Lord Solek unsere Worte.
» Und wie nennt Ihr dies, mein Lord?« Sie deutete auf den Wein in ihrem Kelch und neigte den Stiel leicht, damit der Wein schwappte und das Kerzenlicht feurig auf ihren juwelenbesetzten Ringen aufblitzte. Den Ansatz ihres sechsten Finger hielt sie gekrümmt, in ihrer Handfläche versteckt.
» Kekl.« Es war wie das Grunzen eines Ebers und klang ebenso wild. Lord Solek hatte beim Essen und Trinken ungeheuerlich zugeschlagen, aber er schien vom Wein nicht beeinträchtigt zu sein.
» Kekl.« Bei ihr klang es wie Musik. Er ließ sein lautes Lachen hören. Die Ratgeber lächelten angestrengt. Lord Robert lächelte nicht. Er hatte den ganzen Abend lang nicht gelächelt.
» Und dies?« Eine weiche Hand strich andeutungsvoll über den Kelch.
» Vlak.«
» Vlak«, wiederholte sie. » Kekl in Vlak.«
Er war verzaubert, beinahe gegen seinen Willen. Die Hitze, die ich vom ersten Blickkontakt an zwischen ihnen gespürt hatte, war im Grunde nur eines gewesen – die Hitze zwischen Mann und Frau. Aber nun starrte er sie an, verblüfft beinahe, und ich fragte mich, wie die Frauen seiner eigenen Heimat waren, an diesem unbekannten Ort weit im Westen jenseits der fernen Berge.
Lord Robert trank noch einmal.
» Wein«, wiederholte Lord Solek, und das Wort klang kehlig. » Königin Caroline.«
» Ja«, sagte sie, und ihre Blicke trafen sich, argwöhnisch beobachtet von ihren unruhigen Beratern und seinen aufmerksamen Häuptlingen. Es war eine Erleichterung, als die Unterhaltung begann.
Lady Cecilia nahm daran teil, und es war schockierend. Nicht für die Besucher, die mit höflichem Unverständnis zusahen, sondern für den Hof. Die herrschaftlichen Tänze, die die alte Königin
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