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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Gewehre gezeigt …«
    » Sie haben sie noch, dort drüben?« Es war das erste Mal, dass sie mich etwas über das Land der Toten fragte, ohne dass es dabei um Informationen über das Land der Lebenden ging. Aber ihre Neugier war nicht von Dauer. Es war eine Abzweigung, und ihr Ehrgeiz hielt die Königin stets auf der Hauptstraße.
    » Sie haben ihre Gewehre noch, ja«, sagte ich. » Und sie haben darauf gezeigt und mir durch Gesten klar gemacht, dass sie sie nicht selbst herstellen, und auch nicht das Feuerpulver. Es gibt spezielle Handwerker, die das tun, genauso wie wir eigene Handwerker für das Schmieden von Waffen oder den Schiffsbau haben.«
    » Das ergibt einen Sinn«, sagte sie nachdenklich, und ich atmete weiter. Mein Kinn pochte; ich konnte spüren, wie es anschwoll. Cats Kratzer auf meiner Wange brannten.
    Mit einem Mal stand die Königin in einem Wirbel aus grüner Seide auf. » Du hast es gut gemacht, Roger. Danke. Hier ist ein Unterpfand meiner Wertschätzung.« Sie zog einen Ring vom Finger, einen Goldring, in den kleine Smaragde eingelassen waren, und überreichte ihn mir.
    » Euer Gnaden …«
    » Für dich. Jetzt geh zu Bett. Mitternacht ist vorüber, du bist länger fortgeblieben als sonst. Die Schlacht könnte schon in der Dämmerung beginnen, und ich will, dass du sie mit mir verfolgst.«
    » Ich?«
    » Wer weiß, was du in Erfahrung bringst? Du bist schneller, als sogar ich erkannt habe. Vielleicht hoffst du darauf, Eammons ’ Platz als Übersetzer einzunehmen.«
    » Nein, nein … natürlich nicht …«
    » Das war ein Scherz, Roger.« Aber sie lächelte nicht. Ihre dunklen Augen mit den silbernen Blitzen in der Tiefe maßen mich, noch während ich aus dem Zimmer stolperte, eine Hand um den Ring geschlossen, den sie mir gegeben hatte, mit schmerzhaft angeschwollenem Kiefer von dem Schlag, den ich im Land der Toten empfangen hatte. Ich war dort verletzbar. Und ich war hier verletzbar.
    Ich schloss rasch die Tür zu den Privatgemächern hinter mir und ging einer weiteren schlaflosen Nacht neben der Kaminasche entgegen.

20
    Die Königin hatte richtig vermutet. Die Schlacht begann kurz vor der Morgendämmerung.
    Ich stand in meinen Umhang gewickelt auf dem flachen Dach des Glockenturms. Dies war der einzige Teil der Inselstadt, der höher als zwei Stockwerke aufragte. Es gab dort nicht mehr Platz als in einem kleinen Schlafgemach, und das Dach war von einer niedrigen steinernen Brüstung umgeben. Eine Falltür aus Holz, die nun offen stand, verschloss die Wendeltreppe, die durch die Glockenkammer und weiter hinab in den Palast führte. Königin Caroline, ein paar Ratgeber, die grüne Garde der Königin und ich drängten uns auf diesem kleinen Bereich zusammen.
    Niemand sagte etwas. Ein leichter Wind wehte. Das Licht der noch nicht aufgegangenen Sonne durchzog den Osten mit roten Streifen, als sei bereits Blut geflossen.
    Von hier aus konnte ich den ganzen Palast überblicken, der sich unter mir ausbreitete, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Schließlich erkannte ich, dass das schattige Labyrinth aus Höfen und Gebäuden, das so verwirrend war, wenn man es ohne Führer durchquerte, symmetrische Muster ergab. Es war insgesamt weitaus größer, als ich es mir vorgestellt hatte, eine weitläufige und schöne Rose aus Stein mit zu vielen Blütenblättern, als dass man sie hätte zählen können. Nun war jeder der Höfe leer, die Springbrunnen ohne Wasser, die frischen, grünen Knospen vom blassen Licht grau getönt. Soldaten der Grünen standen auf der Mauer, die den Palast umgab, und weitere Soldaten befanden sich auf den Wällen, die die Ränder der Insel selbst einfassten. Dazwischen lag der schmale Ring der Zeltstadt genauso verlassen wie die Höfe. Die großen Stadttore waren geschlossen, Soldaten standen auf den Brücken. Saß in einem jener Zelte Mutter Chilton? War Maggie in der Küche und knetete Brot für eine Siegesfeier, falls Lord Soleks Armee die Blauen der alten Königin schlug?
    Und wenn die wilden Krieger nicht gewannen …
    Ich konnte nicht daran denken. Mein Verstand sträubte sich dagegen. Wir, die wir der Königin am nächsten standen, würden mit Sicherheit sterben, aber ich konnte es nicht ertragen, mir das vorzustellen, genauso wenig wie ich mir vorstellen konnte, was hinter den Sternen lag, die nun am Himmel verblassten.
    Die letzten Sterne verschwanden, und die Sonne ging auf.
    Die blaue Armee stand auf der nördlichen Ebene, Fußsoldaten in der Mitte und

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