Pfad der Seelen
sehen, zu ihnen sprechen, sie berühren konnte, wurde übel von all diesem Sterben. Ich kannte Angst und Schmerzen, und ich konnte mir mühelos vorstellen, selbst einer von jenen auf dem Schlachtfeld zu sein.
Die Königin beugte sich weiter über die Brüstung und beobachtete alles, ein leichtes Lächeln auf den roten Lippen.
Die Schlacht verlief schnell und dauerte gleichzeitig ewig. Die Zeit selbst wurde verzerrt, und ich konnte nach wie vor nicht genau hinsehen, aber auch nicht abgewandt bleiben. Als die Kämpfe schließlich vorüber waren, viele Blaue die Flucht ergriffen hatten, aber erheblich mehr tot auf dem Boden lagen, marschierten die Wilden zurück zum Palast. Ihre eigenen Toten – so viele weniger als bei den Blauen! – transportierte die Nachhut. Lord Solek marschierte singend voran. Weit abseits ritt Lord Robert mit seinen Grünen zur Verfolgung der fliehenden Blauen. Auf dem Schlachtfeld lagen die Leichen wie vergessene Puppen.
Endlich – endlich! – hörten die Jungen auf zu singen, und die Abwesenheit ihrer rauen Stimmen ließ auch die Musikanten verstummen. Aber nichts konnte die singenden Soldaten zum Schweigen bringen.
» Kommt«, sagte die Königin. » Meine Lords, kommt. Zum Thronraum, um unsere Sieger willkommen zu heißen.«
Sie hatte mich nicht erwähnt, aber ich war nicht so dumm, ihr nicht zu folgen. Dennoch blieb ich so lange wie möglich auf dem Dach des Turms. Die Blauen waren geschlagen. Das große Nordtor wurde schon aufgezogen, um Soleks Armee einzulassen. Und in der Ferne, auf der Ebene, rannten die ersten Dorfbewohner aus ihren Verstecken zu den Gefallenen, die ihre Ehemänner und Brüder und Väter waren. Ich konnte die Schreie der trauernden Frauen hören, verzweifelt und verloren, wie Vögel, die sich weit draußen auf See verirrt haben.
Innerhalb des Palastes gab es eine Wiederholung der gestrigen Zeremonie, die schrecklich und blutig geworden war. Hofdamen, Höflinge und Ratgeber versammelten sich um das Podium. Die Königin saß hoch aufgerichtet auf ihrem Thron. Lord Soleks Armee marschierte ein, singend, von einem Häuptling geführt, der sich nachlässig den gebrochenen Arm hielt. Als Solek selbst eintraf, übersetzte Eammons Soleks Worte, die so beiläufig ausgesprochen wurden, als hätte er gesagt, dass Wasser nass war: » Wir haben gewonnen.«
Aber diesmal kniete er sich nicht nieder, und daher konnte ihm Königin Caroline auch nicht befehlen, sich zu erheben. Beider Augen, die einen silbern unter schwarzen Wassern, die anderen blau wie der Himmel, blickten einander so intensiv an, dass ich wegsehen musste.
» Der tiefste Dank des Königinnenreichs gebührt Euch«, sagte die Königin, » und der meine.«
Ich konnte nicht mehr zuschauen. Was es mich auch kosten mochte, ich konnte ihren berechnenden Worten nicht mehr zuhören, für die andere Leute mit Blut bezahlen mussten: Soleks Armee, um die Blauen zu schlagen, und Königin Isabelles Armee, um die Armee von Solek zu schlagen, falls er sich nicht an ihre Vorgaben hielt. Die kleine Prinzessin Stephanie wurde verschachert, ehe sie vier Jahre alt war, um Soleks Hilfe zu gewinnen. Und auf der Ebene lagen Hunderte von Königin Carolines eigenen Untertanen tot oder sterbend.
Zum ersten Mal überhaupt entschlüpfte ich der Königin ohne ihre Erlaubnis, schlich am Rande des Podiums entlang, bis ich hinter den versammelten Höflingen war, die alle begierig nach vorne drängten, um die Zeremonie zu sehen. Ich würde nicht länger zuschauen, würde der Königin nicht länger helfen, würde keine Freundlichkeiten von ihr mehr akzeptieren, außer wenn ich diese Dinge um meines Überlebens willen tun musste.
Die Wand hinter dem Thron war mit Teppichen aus schwer bestickter Seide behängt. Geräuschlos schlüpfte ich dahinter, wo ein türloser Bogen den Dienern Einlass in den Thronsaal gewährte. Jemand folgte mir dorthin, in den schmalen Durchgang hinter dem Wandteppich.
» Lady Cecilia!«, flüsterte ich. » Ihr solltet nicht hier sein!«
Sie fasste mich am Arm. » Was wird jetzt geschehen, Roger? Bitte sag es mir!«
» Nichts, wobei ihr zu Schaden kommen werdet, meine Lady«, sagte ich. Das Licht war trüb, fiel nur aus einem Alkoven weiter vorne herein. In der Düsternis sah ich, dass Cecilias Gesicht aschfahl war. Ihre Zähne klapperten, entweder vor Kälte oder aus Furcht.
» Woher willst du das wissen? Werden die Wilden uns alle nehmen? All Frauen, meine ich? Sollen wir die Belohnung für sie sein?«
»
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