Pfad der Seelen
Nein, nein«, sagte ich. » Die Königin hat sich von Lord Solek versprechen lassen, dass seine Männer unsere Frauen in Frieden lassen.«
» Das waren die Dorfmädchen. Ich meine uns, die Hofdamen der Königin – sollen wir sie zur Belohnung heiraten? Wie die Prinzessin?«
Dieser Gedanke war mir nicht gekommen. Ehe ich antworten konnte, schluchzte Cecilia: » Oh, Roger, ich habe solche Angst!« Sie warf sich in meine Arme.
Alle Vernunft floh aus meinem Kopf. Sie war so weich, so klein, und sie roch so gut. Meine Arme lagen um sie, sie drückte ihre weinenden Augen an meine Brust, und ich hielt sie fest. Nicht mehr als das: Ich hielt sie und wünschte, der Moment möge nie vorübergehen. Ohne mir bewusst zu machen, was ich tat, hob ich ihr Gesicht an und drückte meine Lippen auf ihre.
Einen Augenblick lang herrschte entsetztes Schweigen, dann entzog sie sich mir. » Roger!«
» Meine Lady, oh, vergebt mir …« Sie konnte mich auspeitschen lassen, mich vom Hof fortschicken lassen …
Aber sie lächelte. Unter Tränen zwar, aber mein Kuss hatte ihre Koketterie dennoch so weit geweckt, dass sie mich durch die Tränen hindurch necken konnte. » Wirklich, ich hatte keine Ahnung, dass ich so unwiderstehlich bin.«
» Ich liebe Euch, meine Lady. Ich habe Euch vom ersten Augenblick an geliebt, in dem ich Euch gesehen habe.« Es stimmte; noch nie in meinem Leben hatte ich etwas ernster gemeint. Ich war von ihr betäubt, berauscht.
Cecilia lachte. Aber einen Augenblick später beugte sie sich dicht zu mir und flüsterte: » Wenn mich also ein Wilder holen kommt, wirst du mich verstecken? Tust du das, Roger? Du musst doch alle Verstecke im Palast kennen.«
Schön wär ’ s gewesen! Gab es Verstecke, geheime Gänge? Natürlich gab es die, obwohl ich noch nie darüber nachgedacht hatte. Aber dies war ein Palast der Geheimnisse, der verborgenen Dinge. Vielleicht hatte mich die Königin auch deshalb so dicht bei sich gehalten, weil sie mich daran hindern wollte, diese verborgenen Gänge, versteckten Winkel und Fluchtwege zu entdecken.
» Ich werde Euch immer zu Diensten sein, meine Lady!«
» Wie lustig! Du hast beinahe wie ein Höfling geklungen, als du das gesagt hast! Du mit dieser komischen gelben Farbe im Gesicht … Versteck mich jetzt, Roger. Zeig mir, wo ich hingehen kann, um vor diesen Wilden sicher zu sein!«
Ich hätte mein linkes Auge dafür gegeben, wenn ich das hätte tun können. Aber ich konnte es nicht. Also versuchte ich stattdessen wichtig auszusehen und fühlte mich am Ende doch nur dumm: » Ich … ich habe einen Auftrag für die Königin zu erledigen. Ich kann ihn nicht aufschieben! Aber Ihr werdet sicher sein, meine Lady, das verspreche ich Euch! Und wenn es mich das Leben kostet, ich werde Euch sicher halten!«
Sie neigte den Kopf zur Seite. » Ich glaube dir, Roger.«
» Danke, meine Lady!«
Weshalb dankte ich ihr? Ich wusste nicht, was ich meinte. So nahe bei ihr zu sein, verwirrte meinen Verstand. Ich stolperte den Gang entlang, in Richtung Küche.
Maggie saß am Tisch, den Kopf in den Händen geborgen. Nur ein paar weitere Diener befanden sich noch in der Küche. Das Feuer war beinahe erloschen; nichts war fürs Abendmahl vorbereitet worden. Ich stellte mich neben sie. » Maggie?«
» Mein Bruder Richard«, sagte sie. » Er war bei den Blauen.«
» Es tut mir leid. Vielleicht ist er entkommen …«
» Vielleicht. Die anderen sind alle schon hinaus auf das Schlachtfeld gegangen, alle Diener, um ihre Toten zu suchen. In einer Minute muss ich … ich dachte, dass ich zuerst … was willst du?«
Ich wusste nicht, was ich wollte, weshalb ich hierhergekommen war, zu ihr. Ehe ich noch einem Mädchen weitere Lügen auftischen konnte, wurden Maggies Augen groß, als sie hinter mir etwas erblickte, und sie sprang auf. Ich wandte mich um.
Der Junge mit den roten Zweigen im Haar, der erste Sänger, war im Eingang erschienen. Er war unbewaffnet, stand dennoch furchtlos da. Die paar Diener in der Halle versteiften sich, und eine Köchin mittleren Alters zischte hörbar.
Der Junge ging auf Maggie zu, die ihm am nächsten war. Er sagte mit einem schweren, kehligen Akzent: » Essen. Für Solek und Königin.«
» Wir haben nichts. Kein Essen«, sagte Maggie. Und die Küche wirkte tatsächlich so leer, als sei sie von verhungernden Ratten überrannt worden. Die Belagerung und das gestrige Festmahl hatten die Vorratskammern so gut wie geleert. Doch ich nahm an, dass noch Nahrung in den Lagern
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