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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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übrig war, in denen man sie gehortet hatte. Königin Caroline war eine zu sorgfältige Planerin, um ihre Hauptstadt verhungern zu lassen.
    » Essen«, wiederholte der Junge, aber nicht fordernd. Aus der Nähe betrachtet wirkte er unter der roten Farbe auf seiner Stirn und seinen Wangen außerordentlich hübsch. Dunkles Haar, Augen so blau wie die von Solek. Er war größer als ich und breiter. Fiel Maggie das auf?
    » Kein Essen«, sagte sie. Wie konnte sie es wagen?
    Die blauen Augen musterten ihr Gesicht, das vor Trotz weiß geworden war. Er griff mit der Hand unter seine zottige Pelzjacke, um etwas hervorzuholen, was er ihr hinhielt. » Du isst«, sagte er sanft.
    Es schien eine Art Trockenfleisch zu sein, vermengt mit Beeren. Das Ding roch tatsächlich gut. Maggie starrte ihn an.
    » Kein Essen«, sagte er. » Du isst, Mädchen.«
    Etwas hämmerte hinter meinen Augen. » Sie will deine stinkenden Barbarenrationen nicht!«
    Sein Blick schätzte mich ab, und ich erkannte den Augenblick, in dem er mich nicht mehr ernst nahm. Während er das Essen neben Maggie auf den Tisch legte, erhob er die Stimme laut genug, dass es die übrigen erstarrten Diener hören konnten. » Kein Essen? Wir bringen Essen. Ihr esst.« Er blickte wieder Maggie an, dann schritt er aus der Halle.
    Ein Mann rannte von der gegenüberliegenden Seite herein, aus dem Hof, an dem die Barken anlegten. » Die Wilden lassen es zu, dass wir unsere Toten zum Begräbnis holen. Walter … ich habe ihn nicht gefunden. Vielleicht ist er entkommen!«
    Eine Köchin mittleren Alters, die gerade in die Halle getreten war, geiferte: » Er hat Königin Eleanor gerächt, die wahre Königin, und muss nun trotzdem fliehen! Dieser Tag ist von Scham befleckt!«
    Eine andere Frau unterbrach sie, wobei sie mir einen raschen Blick zuwarf. Natürlich. Die Dienerschaft hatte Königin Caroline den Treueeid geleistet, aber nicht alle von ihnen hatten das auch ernst gemeint. Manche der ehemaligen Blauen waren nach wie vor blau, trotz ihrer grünen Hemden, und sogar manche von Königin Carolines treuesten Dienern hatten Verwandte unter den Blauen. Wie jener Mann, wie Maggie.
    Die Köchin schnappte: » An die Arbeit, ihr alle! Es wird nicht lange dauern, bis die Königin jemanden schickt, der ihr Abendessen holen soll, und hier ist das Feuer beinahe ausgegangen! Bewegung, los!«
    Ich verließ die Küche und ließ Maggie in ihrer Trauer zurück. Ich konnte nichts tun, um es ihr leichter zu machen. Aber ich wollte nicht zur Königin zurückkehren, die der Grund für diesen Kummer war. Deshalb verbrachte ich den ganzen Nachmittag damit, durch den Palast zu streifen und zu versuchen, die geheimen Gänge und Verstecke zu entdecken. Aber wären sie so leicht zu entdecken gewesen, wären sie natürlich nicht geheim gewesen. Ich fand nichts.
    Aber ich erfuhr viel.
    Ich trug meinen Umhang, die Kapuze tief in mein gelb gefärbtes Gesicht gezogen, und saß still im Alkoven, wo ich vorgab, auf jemanden zu warten. Stand in Höfen, in denen ich vorgab, Beete mit Frühlingsblumen zu jäten. An den Anlegestellen, wo die Barken, die durch die Belagerung flussabwärts aufgehalten worden waren, abermals mit ihren geladenen Gütern für den Palast eintrafen. Im Wachraum der grünen Armee. Sogar in der Wäscherei, wo mir Joan Campford weitere gelbe Farbe gab und mir mit einer verwirrten Ehrerbietung begegnete, die uns beide unruhig machte. » Ich hätte nie gedacht, dass mein Wäscherinnenjunge der Narr der Königin werden würde«, sagte sie mit einem Kopfschütteln. » Und jetzt fort mit dir.«
    In der Abenddämmerung, als die Laternen und Kerzen im Palast angezündet wurden, machte ich mich auf den Weg zurück zu den Räumen der Königin und erwartete eine Bestrafung, weil ich mich davongemacht hatte. Dort erfuhr ich aber die größte Überraschung von allen: Es würde keine Bestrafung geben. Die Königin hatte nicht nach mir gerufen, nicht nach mir gefragt, hatte mich nicht einmal vermisst. Die Audienzkammer war abgesehen von den Wachen leer. In der äußeren Kammer gab es keine Höflinge, nur eine kleine Traube von Hofdamen der Königin, die mit einer Nüchternheit und Ernsthaftigkeit nähten, die bei allen abgesehen von Lady Margaret völlig fremd wirkte. Bei ihr saßen Lady Sarah Morton, Lady Jane Sedley und zwei weitere Hofdamen. Und Lady Cecilia, die mich nicht grüßte, deren Blick seit heute Morgen aber nichts von seiner Furcht verloren hatte. Keinerlei Anflug einer derartigen Furcht

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