Pfad der Seelen
wichtige Staatsmission zu erfüllen.
21
»Roger, ich habe Arbeit für dich«, sagte die Königin.
Das konnte nur eines bedeuten. Mein Rückgrat versteifte sich.
Seit der Schlacht waren Wochen vergangen. Aus dem Frühling war der Frühsommer geworden, die Rosen trieben in den Höfen Knospen, und blassgrüne Ähren standen auf den Feldern. Lord Soleks wilde Soldaten waren überall – wie konnten so wenige von ihnen so zahlreich wirken? Sie leiteten die grünen Wachen an, sie überwachten die Barken, die am Palast anlegten, sie kontrollierten alles, was sich in Gloria abspielte. Ein paar hatten etliche Worte aus unserer Sprache gelernt, aber die meisten schlugen sich mit Gesten durch oder stellten pantomimisch dar, was sie wollten. Sie waren unermüdlich, hatten eine hervorragende Disziplin, waren auf ihre raue Art höflich. Sie waren immer und allüberall präsent.
Die Königin hielt mich dicht bei sich, außer wenn sie mit Lord Solek in ihren Privatgemächern war. Sie sprach mich nie auf das an, was ich in jener Nacht vor der Schlacht gesehen hatte. Sie musste es auch nicht erwähnen; wir wussten beide, dass es mich das Leben kosten würde, wenn ich nicht über die Szene zwischen ihr und Lord Robert Schweigen bewahrte. Den Großteil der Zeit über, während Lord Solek Berichte von seinen Hauptleuten entgegennahm und seine wachsende Macht über die Hauptstadt in ihm dienliche Bahnen lenkte, saß die Königin bei ihren Hofdamen, die nähten oder sangen oder spielten oder tanzten. Sie sagte wenig, und sie schloss sich ihnen nicht bei ihren erzwungen wirkenden Vergnügungen an. Sie mussten um ihretwillen fröhlich sein und sich amüsieren; aber die Königin musste keine Fröhlichkeit vortäuschen, und das tat sie auch nicht. Sie saß still und nachdenklich da. Manchmal hörte sie es nicht, wenn Lady Margaret etwas zu ihr sagte.
Königin Carolines schönes Gesicht gab nichts preis, aber ich konnte ihre wachsende Angst spüren. Dies war nicht Teil ihres Plans gewesen. Lord Solek sicherte rasch und entschlossen seine Macht über das Königinnenreich. Die Königin hatte die Streitkräfte ihrer Mutter geschlagen, nur um jenen ihres Geliebten zum Opfer zu fallen.
» Wird sie ihn heiraten?«, flüsterte mir Cecilia zu, während sie in einer Fensterlaibung saß, angeblich beim Nähen. Ihr Kissenbezug war ein einziger Schlamassel; ich hätte selbst ordentlichere Stiche setzen können.
» Ihn heiraten?«
Sie kicherte. » Nun, sie gehen zusammen ins Bett, oder nicht?«
» Ich bin niemals im Schlafgemach der Königin. Scht, meine Lady!« Rasch blickte ich mich um. Cecilia kannte keine Diskretion, und manchmal dachte ich, sie hätte auch kein Gedächtnis. Sowohl Lady Margaret als auch ich hatten sie des Öfteren gewarnt, nicht über die Königin und Lord Solek zu sprechen. Aber sie war wie ein Kätzchen: neugierig, großäugig, verspielt, ganz und gar hinreißend. Von ihrem Duft wurde mir ganz leicht im Kopf, und meine Sicht verschwamm.
» Vielleicht sollte sie ihn heiraten«, sagte Cecilia. » Er ist sehr ansehnlich. Diese blauen Augen.«
» Lady Cecilia … bitte!«
» So ist es aber doch. Und Prinzessin Stephanie ist nicht stark. Die Königin ist alt, aber nicht zu alt – er könnte ihr vielleicht eine weitere Tochter schenken, falls … oh, schon gut, Roger. Du bist immer auf der Hut.« Sie klopfte mir auf die Schulter. Ihre Berührung war wie Wein. » Es ist alles gut inzwischen, siehst du das nicht? Wir haben wieder Frieden, und alles ist in Ordnung. Die Königin – oh, sie verlangt jetzt nach uns!«
» Bleibt hier, sie will nur mich«, sagte ich und stand auf, um der Königin zu dem Dach hoch oben zu folgen, von dem aus wir die Schlacht beobachtet hatten. Wir machten das drei- oder viermal am Tag, kletterten die steilen Steinstufen im Glockenturm empor, nur sie und ich und zwei grüne Wächter, dieselben, die ich häufig in der Wachstube Bier mit einem von Lord Soleks Hauptleuten trinken sah. Dieser wilde Hauptmann hatte ein gutes Gespür für Worte; er war einer derer, die sich unsere Sprache am besten aneigneten. » Ich möchte mein Königinnenreich in Frieden betrachten«, sagte die Königin, um ihre häufigen Ausflüge auf den Turm zu erklären. Ich wusste es besser.
Inzwischen beugte sie sich über die steinerne Brüstung und rief mich an ihre Seite. Ihre grüne Garde stand an der Falltür zum Treppenhaus, in einem höflichen Abstand und außer Hörweite, wenn man flüsterte.
Sie wusste genauso gut wie
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