Pfad der Seelen
Arm, und ich wurde davon zurück gegen die Felsen geschleudert. Am Himmel ertönte ein lautes Krachen nach einem Blitz. Ich schrie auf; der Schmerz war die reinste Qual; mein Fleisch wurde wie von Flammen versengt.
Und dann lag ich auf dem steinernen Dach des Turmes, es war Nacht, und es gab weitere Fragen, die mich quälten. Ich wusste bereits, dass ich im Land der Toten verletzt werden konnte, von den Toten. Aber was würde mit mir passieren, wenn ich dort getötet wurde? Würde ich in meinem Körper ins Land der Lebenden zurückkehren, oder würde ich im Land der Toten bleiben?
Nun gab es nicht nur einen, sondern zwei Orte, an denen ich sterben konnte.
Der Schmerz nahm kein Ende. Es war zu dunkel, als dass ich meinen Arm sehen konnte, aber als ich es über mich brachte, ihn anzuspannen, konnte ich spüren, dass kein Knochen gebrochen war. Es war nur eine Fleischwunde, aber ich hatte gesehen, wie Männer an Fleischwunden starben, die widerlich schwarz geworden waren. Und der Schmerz ließ nicht nach, er brannte wie Säure auf meiner Haut und meinen Nerven.
Ich hielt meinen linken Arm mit dem rechten und zwang mich, auf die Beine zu kommen. Wo waren die Königin, ihre Garde oder überhaupt jemand? Wie viel Zeit war vergangen? Meine Augen passten sich an die Dunkelheit an, und ich spähte über die Brüstung. Die meisten, wenn auch nicht alle Höfe waren dunkel. Genauso der größte Teil der Zeltstadt. Über mir schienen hell die Sterne, ohne einen Mond. Der Sommer hatte kaum begonnen, die Nachtluft war kalt und stechend.
Ich versuchte es mit der Falltür, die vom Dach des Turmes hinabführte. Sie war von unten verriegelt.
Etwas musste im Palast vor sich gehen, etwas, das die Königin vom Turm getrieben hatte. Sie hatte mich schon früher vergessen, aber nie, während ich mich im Land der Toten für sie auf einer Mission befunden hatte. Was, wenn sie ermordet worden war, wie sie ihre Mutter ermordet hatte? Was, wenn vor dem Anbruch des Morgens niemand auf den Turm kam? Der Hof lag viele Stockwerke unter mir, zu weit, dass ich hätte springen können. Ich glaubte nicht, dass ich hier erfrieren würde, aber ich musste die Wunde an meinem Arm säubern, sie verbinden …
Weshalb ließ mich immer jeder im Stich?
Ich beugte mich über die Brüstung und brüllte: » Ich bin hier! Ich bin hier!«
Und dann: » Ich bin hier, ihr Bastarde! ICH BIN HIER!«
Nichts.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, mich an die Steinbrüstung klammerte, zitterte und fluchte, mein Arm die reinste Qual. Die Sterne bewegten sich über mir, das weiß ich. Mir wurde schwindlig im Kopf, vielleicht hatte ich sogar Fieber. Und dann traten auf einem Dach unterhalb des Turms zwei Gestalten heraus. Es war allen außer den Soldaten verboten, nachts auf die Dächer hinauszugehen. Jene dort unten waren keine Grünen. Im Sternenlicht konnte ich ihre Umrisse deutlich erkennen: Ein Soldat der Wilden und eine Frau. Sie umarmten sich.
Meine Stimme war rau, aber ich rief hinab: » Helft mir bitte! Ich bin Roger, der Narr der Königin, und ich bin aus Versehen hier oben auf dem Turm eingesperrt! Bitte, schickt mir Hilfe!«
Sofort verschwand die Frau, die vielleicht nicht erkannt werden wollte. Der Wilde kam an den Rand seines Daches und spähte zu mir herauf. Er sah wie eine kleine Gestalt aus, nicht gefährlicher als ein kleiner Schmusehund, der sich auf zwei Beine aufrichtete. Entfernung ist trügerisch, sie verspricht Sicherheit, die es gar nicht gibt.
Der Wilde rief etwas, das ich natürlich nicht verstand, dann verschwand er vom Dach. Ein paar Minuten später, die sich wie Stunden anfühlten, wurde die Tür zum Turmdach geöffnet, und ein Mann kam hervor.
Lord Solek selbst.
Hinter ihm befand sich Eammons, der Übersetzer, der fragte: » Was machst du hier?«
» Man hat mich vergessen! Die Königin …« Ich schnappte nach Luft, als mich eine Welle des Schwindels erfasste.
Eammons hakte nach: » Was ist mit der Königin? Was hat sie zu dir gesagt?«
An seinem Tonfall war etwas falsch. Es lag nicht nur Schärfe, sondern auch Angst darin. Wovor? Etwas war hier falsch, ganz und gar falsch. Mit jedem letzten Körnchen Kraft, das ich noch in mir hatte, beschwor ich allen Verstand herauf, der mir gegeben war. Nichts anderes hatte mich bisher am Leben gehalten. Er riet mir zur Vorsicht, zum Ausweichen, zum Lügen.
» Nichts. Ich … Ihre Gnaden ist gegangen und … ich wollte … ich wollte alleine sein. Also bin ich hierhergekommen. Aber ich
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