Pfad der Seelen
sie war niemals eine Schönheit gewesen. Dennoch hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ihr längliches Gesicht so eingefallen und abgezehrt wirken konnte, und unter ihren Augen lagen violette Schatten. Ich sagte: » Die Königin …«
» Weiß, wo du dich befindest. Ich habe ihr gesagt, dass du krank geworden bist, weil du die ganze Nacht während eines Anfalls auf dem Turm eingesperrt warst, und dass ich veranlassen würde, dass sich jemand um dich kümmert. Sie schickt ihre besten Wünsche.«
Aber keine Reue dafür, mich während meines » Anfalls« ausgesperrt zu haben. Und auch keine Gründe dafür, dass sie mich dort oben zurückgelassen hatte, wo ich hätte sterben können. Ich sagte trocken: » Der Königin geht es also gut?«
» Sei nicht anmaßend, Roger.«
Lady Margaret war deutlich scharfsinniger als Cecilia; das musste ich im Kopf behalten. Ich neigte in Büßerpose das Haupt. Auch, um meine Wut zu verbergen. Aber ihre nächsten Worte ließen meinen Kopf nach oben schnellen, um sie anzustarren.
» Ich habe der Königin nicht verraten, dass du ebenso verletzt wie krank warst, und auch nicht, dass die Verletzung von einem der Gewehre der Wilden stammte. Zum Glück war es nur eine Fleischwunde. Aber wie ist das geschehen, während du auf der Spitze des Turms eingeschlossen warst, Roger, Narr der Königin?«
Wir blickten uns gegenseitig an. Ich entschied mich für die Wahrheit, zum Teil, weil ich nicht glaubte, dass ich mit etwas anderem davonkommen würde. Nicht bei ihr. » Ich kann es Euch nicht sagen, meine Lady. Auf Befehl der Königin.«
» Es gibt viel, dass dieser Tage nicht gesagt werden kann.«
» Ja.«
Sie beugte sich näher zu mir und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. » Du bist zwei Tage lang krank gewesen«, sagte sie, » und deshalb weißt du nicht, was geschehen ist. Ich werde es dir verraten, Roger, aber nur, weil ich glaube, dass es wichtig ist, dass du die Wahrheit kennst, und nicht nur die Gerüchte, die im Palast umgehen. Und weil ich glaube, dass du bereits mehr über die Wahrheit rund um Lady Cecilia weißt als jeder sonst.«
» Lady Cecilia?« Nun war ich wirklich verwirrt. Ich hatte geglaubt, wir hätten über die Königin gesprochen.
» Du warst auf dem Turmdach und hast der Königin dabei geholfen, nach dem Boten von Königin Isabelle Ausschau zu halten, oder nicht?«
» Ja.«
» Er ist eingetroffen, als du deinen Anfall hattest.«
» Er ist eingetroffen? Ist er hier?« Nicht bei den Toten.
» Er war hier, ist aber schon wieder weg. Genauso wie Isabelles Armee, die der Königin niemals zur Hilfe kommen wird.«
Ich war erschüttert. Königin Isabelle musste ihrer Schwägerin zur Hilfe kommen; das machten Königinnen so. Es gab einen Ehepakt. Und eine etwaige Tochter von Isabelle und Rupert würde an zweiter Stelle in der Erbfolge der Krone von Gloria stehen. Königin Isabelle konnte sich nicht geweigert haben, ihre Armee zu schicken.
» Weshalb?« Das Wort brach aus mir hervor wie die Explosion aus einem der Gewehre der Wilden. Und Lady Margaret hatte Cecilia erwähnt …
Auf einmal wusste ich es, und die Welt um mich herum wurde garstig.
» Ja«, sagte Lady Margaret, die mir ins Gesicht blickte. » Königin Isabelle hatte einen Schub des Krabblers. Ihre Ärzte sagen, dass er sie innerlich vernarbt hat, sodass sie vielleicht niemals ein Kind bekommen kann. Sie hat sich den Krabbler bei Prinz Rupert eingefangen, der gesagt hat, er hätte ihn von Cecilia.«
» Es war anders herum! Cecilia hat sich die Krankheit bei Rupert geholt!«
» Das ist nicht das, was die Königin Isabelle glaubt«, sagte Lady Margaret müde, » und auch nicht Königin Caroline. Rupert ist ihr Bruder. Sie glaubt, was sie sich wünscht – genauso wie du, Roger. Du glaubst Cecilia, diesem törichten Kind, weil du sie als Opfer sehen willst. Aber die Wahrheit ist komplizierter als das.«
» Als ob irgendjemanden die Wahrheit interessieren würde!«
» Jeden hier interessiert die Wahrheit«, sagte Lady Margaret, » nur nicht dieselbe Wahrheit. Und die deine sieht so aus: Du hast Cecilia geholfen, zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Infektion eine Arznei gegen den Krabbler zu besorgen; sie hat dich geschickt, ihr den Jungferntrunk zu holen, weil sie wusste, was sie hatte. Königin Isabelle wusste es nicht; sie hat zu lange gewartet und einen schrecklichen Preis dafür bezahlt. Es wird keine Thronerbin geben. Königin Caroline wird von ihr keine Hilfe erhalten und ist praktisch eine
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