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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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kommt denn hier?«, fragte der Grüne mit dem borstigen Bart.
    Der andere stieß ihm mit dem Ellbogen hart zwischen die Rippen und sagte unsicher: » Meine Lady …«
    Aber die Augen von Borstenbart waren besser. » Keine Lady, Dick – schau dir die Stiefel an!« Er fasste nach mir, und ich tänzelte weg. Ich ließ die Kapuze meines Umhangs zurückfallen, dann riss ich sie wieder hoch.
    » Es ist einer dieser aufgeputzten wilden Sänger! In einem Untergewand!« Borstenbart stieß einen Schrei aus und griff noch einmal nach mir.
    Ich versuchte, in hohem Tonfall mit dem kehligen Akzent der Wilden zu sprechen: » Ich sein …«
    » Wir wissen schon, was du bist«, sagte Borstenbart. Dick hatte seine anfängliche Vorsicht fallengelassen; er machte Kussgeräusche und griff nach mir. Für diese groben Idioten sahen alle Sänger der Wilden gleich aus, und ich hatte großzügig von der roten Farbe Gebrauch gemacht. Dick gab vor, mich zu küssen, rief » Pfui!« und warf mich zu Boden.
    » Sing für uns, Junge!«
    » Sing uns ein hübsches Mädchenlied oder wir nehmen dich wie ein Mädchen dran!«
    » Du vielleicht, ich nicht. Ich halte nichts von Männerfleisch.« Er gab mir einen Tritt.
    Ich rief: » Ich gehen zu Solek!«
    Das ernüchterte sie. Borstenbart sagte: » Zeig mir deinen Pass.«
    Ich schüttelte den Kopf, als hätte ich nicht verstanden und wiederholte: » Ich gehen zu Solek!«
    Borstenbart sagte: » Er sollte doch einen Pass haben.«
    Dick war schneller. » Ja, aber wenn er sich so für Solek anzieht … wer weiß, was diese Wilden treiben, wenn sie unter sich sind? Diese Sänger sind doch sowieso von Kopf bis Fuß Blumenjungen. Ich will damit nichts zu tun haben.«
    » Dann machen …«
    » Geh«, wies mich Dick mit gerunzelter Stirn an. » Das verstehst du doch, du kranker Hund, oder? Geh.« Er entriegelte und öffnete das Tor. Ich trippelte hindurch und in die Stadt hinaus.
    Es war dunkel und kühl, obwohl der Sommer sich durch die Nachtluft wand wie eine Stickerei durch Stoff. Ich befand mich nicht annähernd in der Nähe der Küche, wo die Barken mit Nahrungsmitteln festmachten, um auszuladen, und Maggie mich schon einmal aus dem Palast gelassen hatte. Aber wenn ich mich dicht an der Palastmauer hielt und nach rechts ging, glaubte ich, dass ich dort ankommen würde. Dies stellte sich als schwieriger heraus, als ich erwartet hatte. Die Gassen, die mit Zelten gesäumt waren, wanden und bogen sich, manchmal fort von der Mauer, manchmal wieder darauf zu. Außerdem waren viele von den Zelten abgebaut worden, ersetzt durch Holzgebäude in verschiedenen Baustadien. Es war die alte Königin gewesen, die befohlen hatte, dass auf der Insel von Gloria der Palast das einzige beständige Bauwerk zu sein hatte. Königin Caroline musste dieses Gesetz abgeschafft haben, vielleicht in dem Versuch, die Gunst ihrer Untertanen zu gewinnen. Mein Weg wurde oft von Holz- und Ziegelhaufen versperrt, von unverkleideten Holzhäusern, aus denen Licht strömte, einmal von einem Stall voller Eber, die mich in der Finsternis bösartig angrunzten und ihre Zähne bleckten.
    Ich fühlte mich von der Krankheit geschwächt und kam mir in meinem grünen Samtumhang und dem Damennachtgewand lächerlich vor. Aber ich ließ die Kapuze weit in mein Gesicht fallen, und auf den Straßen waren wenige Leute, die mich hätten sehen können. Vielleicht wirkte mein dunkelgrüner Umhang in der Nacht braun oder schwarz. Niemand hielt mich auf, nicht einmal, als ich zwei von Lord Soleks Wilden begegnete. Sie gingen an mir vorüber, ohne mich eines Blickes zu würdigen, und betraten ein Bierzelt. Als sie die Klappe beiseiteschoben, drangen Wärme und Licht und Gelächter heraus. Die Königin mochte so etwas wie eine Gefangene in ihrem eigenen Palast sein, ihres Throns so gut wie beraubt, aber für die gewöhnlichen Leute gab es Frieden und Freiheiten.
    Schließlich fand ich die düstere Gasse und das Zelt mit dem Abbild der beiden schwarzen Schwäne. Ich klopfte am Türgriff, wartete nicht auf eine Antwort und schlich mich hinein.
    Mutter Chilton saß im selben Stuhl. Es war, als hätte sie sich in all den langen Wochen, seit ich zum letzten Mal hier gewesen war, nicht bewegt. Das gleiche Feuer brannte im Kohlebecken im Mittelpunkt des Zeltes, dessen Rauch durch das Loch im Dach aufstieg und dessen Licht auf den Zeltwänden flackerte. An den Stangen hingen die gleichen Flaschen, Pflanzen, Federn, Felle, Holzstücke und Stoffbeutel.
    Diesmal erhob sich

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