Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
quält.«
»Ren, der weiße Tiger, ist gefangen genommen worden, und wir können ihn nicht finden. Unsere ganze Hoffnung ruht nun auf dir.«
Schwermütig lächelte sie mich an. »Meine Macht ist … begrenzt. Ich kann dir einen Rat erteilen, wie du die nächste Belohnung zu finden vermagst, aber für etwas anderes bleibt wenig Zeit.«
Eine Träne rann mir die Wange herab. »Aber ohne ihn hat die Suche nach den Gegenständen keine Bedeutung für mich.«
Mit sanfter Hand strich sie mir über die Wange und fing eine glitzernde Träne auf. Ich beobachtete, wie sie erhärtete und schließlich als funkelnder Diamant auf ihrer Fingerspitze lag. Sie reichte ihn Kishan, der das Geschenk ehrfürchtig entgegennahm.
»Vergiss nie, Kelsey, dass die Aufgabe, mit der ich dich betraut habe, nicht nur deinen Tigern hilft. Sie ist für ganz Indien ein Segen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass du die heiligen Objekte findest.«
Ich schniefte und wischte mir mit dem Ärmel über die Augen.
Ein mildes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Sorge dich nicht, meine Tochter. Ich verspreche, ich halte meine schützende Hand über deinen weißen Tiger … Oh … ich verstehe.« Sie blinzelte und starrte gebannt in die Ferne, als würde sie dort etwas sehen, das uns entging. »Ja …, der Weg, den du nun einschlägst, wird dir helfen, deinen Tiger zu retten. Hüte den nächsten Gegenstand gut, und lass weder ihn noch die Goldene Frucht in falsche Hände geraten.«
»Was sollen wir mit der Goldenen Frucht tun?«
»Zunächst wird sie dir auf deiner Reise behilflich sein. Trage sie bei dir und nutze sie weise.«
»Worum handelt es sich bei dem luft’gen Lohn?«
»Um diese Frage zu beantworten, will ich dir jemanden vorstellen.« Sie hob einen blassrosa Arm und zeigte hinter uns zum anderen Ende des Raums. Ein rhythmisches Klackern war zu hören.
In einer von Mondlicht erhellten Ecke des Zimmers saß eine alte, knorrige Frau auf einem hölzernen Hocker. Graue Haarsträhnen blitzten unter einem ausgeblichenen roten Kopftuch hervor. Sie trug ein einfaches, selbst gesponnenes, braunes Kleid mit weißer Schürze. Ein kleiner Webstuhl stand vor ihr. Andächtig beobachtete ich, wie sie wunderschöne Fäden aus einem großen Flechtkorb zog und um das Schiffchen wickelte. Dann fädelte sie die Spindel geschickt durch den Webrahmen.
Nach einer Weile fragte ich: »Großmutter, was webst du?«
»Die Welt, meine Tochter«, erwiderte sie mit gütiger, wenn auch erschöpfter Stimme. »Ich webe die Welt.«
»Dein Garn ist wunderschön. Ich habe noch nie solche Farben gesehen.«
Sie kicherte. »Ich benutze Spinnweben, damit der Stoff federleicht wird, Elfenflügel für ein Funkeln, ein wenig Regenbogen für ein Schillern in allen Farben, und Wolken, damit das Tuch weich wird. Hier. Du kannst es anfassen.«
Ich packte Kishans Hand, zog ihn näher und streckte dann die Finger aus, um das Material zu berühren. Es knisterte und prasselte. »Darin steckt Kraft!«
»Ja. Große Kraft, aber ich will dich zwei Dinge über das Weben lehren.«
»Nämlich, Großmutter?«
»Diesen langen, vertikalen Faden nennt man Kette, und die bunten horizontalen Fäden Schuss. Die Ketten sind dicker, stärker und meistens unscheinbar, aber ohne sie hätte der Schussfaden nichts, an dem er sich festklammern könnte. Deine Tiger klammern sich an dich, brauchen dich. Ohne dich würden die Stürme der Welt sie wegblasen.«
Ich lauschte gebannt ihren Worten und nickte. »Was willst du mir sonst noch erklären, Großmutter?«
Sie beugte sich näher zu mir und flüsterte verschwörerisch: »Eine Meisterin des Webstuhls kann außergewöhnliche Stoffe fertigen, und ich habe mächtige Fäden in dieses Tuch gesponnen.«
»Vielen Dank, Großmutter.«
»Da wäre noch etwas. Du musst lernen, einen Schritt zurückzugehen und dir das Gesamtwerk vorzustellen. Wenn du dich nur auf den einen Faden konzentrierst, der vor dir liegt, verlierst du den Blick darauf, was aus ihm werden kann. Durga besitzt die Fähigkeit, das Werk von Anfang bis Ende zu verfolgen. Du musst ihr vertrauen. Sei nicht entmutigt, wenn dir der Faden nicht zusagt. Warte ab und sieh dich um. Sei geduldig und treu. Wenn sich die Fäden zueinanderfügen und sich das Muster schließlich in seiner ganzen Farbenpracht zeigt, wirst du verstehen.«
Ich ließ Kishans Hand los, damit ich näher zu der greisen Frau treten konnte, gab ihr einen Kuss auf die runzelige Wange und dankte ihr erneut. Ihre Augen funkelten, und
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