Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
der menschlichen Gesellschaft. Ihm blieb zumindest die Möglichkeit zu lernen, wenn auch auf beschränkte Weise.«
Er lachte spöttisch. »Du vergisst, Kelsey, dass ich meine Einsamkeit jederzeit hätte aufgeben können. Er war ein Gefangener, ich hingegen saß in einer selbst gebauten Falle.«
»Ich verstehe nicht, wie du dir das antun konntest. Du hast der Welt so viel zu bieten.«
Er seufzte. »Ich habe eine Strafe verdient.«
»Du hast keine Strafe verdient. Du musst aufhören, so zu denken. Du musst dir immer wieder sagen, dass du ein guter Mensch bist, der es verdient hat, glücklich zu sein.«
Er lächelte. »Okay. Ich bin ein guter Mensch, der es verdient hat, glücklich zu sein. So. Bist du jetzt zufrieden?«
»Fürs Erste.«
»Wenn es dich glücklich machen sollte, werde ich versuchen, meine Einstellung zu ändern.«
»Vielen Dank.«
»Gern geschehen.«
Er massierte nun wieder meinen Arm und knetete sanft meine Handinnenfläche.
»Was war dann der ausschlaggebende Punkt? Waren es die sechs Stunden in Menschengestalt, die dich dazu gebracht haben, wieder leben zu wollen?«
»Nein. Das war es nicht.«
»Wirklich?«
»Nein. Meine Sicht auf das Leben hat eine wunderschöne junge Frau verändert, die ich bei einem Wasserfall kennengelernt habe und die meinte, sie wüsste, wer und was ich sei.«
»Oh.«
»Sie ist diejenige, die den Tiger in mir vertrieben und mich zurück zur Oberfläche gezogen hat. Und egal, was noch geschehen mag … Ich will, dass sie weiß, dass ich ihr unendlich dankbar bin.« Er hob meine Hand und drückte einen warmen Kuss auf meine Fingerspitzen.
Ich sah in seine aufrichtigen goldenen Augen und wollte ihm gerade erklären, dass ich Ren immer noch liebte, da veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Seine Miene erstarrte, und er sagte: »Schsch. Sag es nicht. Heute will ich keine Widerworte hören. Kelsey, ich verspreche dir hoch und heilig, ich werde alles tun, um euch beide zu vereinen, und ich werde versuchen, mich für euch zu freuen, aber das bedeutet nicht, dass ich meine Gefühle so leicht beiseiteschieben kann. Okay?«
»Okay.«
»Gute Nacht, Kells.«
Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn, schaltete das Licht aus und verschwand durch die Verbindungstür, die er leise hinter sich schloss.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich viel besser. Wir machten einen Zwischenstopp in der Stadt Gyantse, die nur zwei Autostunden entfernt lag. Von allen Touristen wurde erwartet, dass sie den Tag dort verbrachten, weshalb auch uns keine andere Wahl blieb. Mr. Kadam war schon einmal dort gewesen und erklärte, dass Gyantse einst eine bedeutende Stadt auf der Gewürzstraße gewesen wäre. Wir besichtigten die Kumbum Chörten, ein buddhistisches Kloster, und nahmen ein typisch chinesisches Mittagessen in einem kleinen Restaurant ein. Die Stadt war wunderschön, und es war angenehm, dem Wagen zu entkommen und sich die Beine zu vertreten.
Auch in dieser Nacht stiegen wir in einem Hotel ab. Kishan verbrachte den Großteil seiner Zeit als Tiger, während Mr. Kadam versuchte, mir Schach beizubringen. Das Spiel erschloss sich mir nicht auf Anhieb. Nachdem er mich dreimal hintereinander in kürzester Zeit geschlagen hatte, sagte ich: »Tut mir leid, ich glaube, ich bin nicht wirklich der vorausschauende Typ. Irgendwann einmal bringe ich Ihnen bei, wie man Die Siedler von Catan spielt.«
Mit einem warmen Lächeln dachte ich an Li, seine Freunde und Grandma Zhi. Ich fragte mich, ob Li versucht hatte, mich zu erreichen. Mr. Kadam hatte unsere Handys vernichtet und uns allen neue Telefone und Nummern gegeben, sobald wir in Indien gelandet waren. Zudem sollten wir aus Sicherheitsgründen mit niemandem in Oregon Kontakt aufnehmen.
Alle zwei oder drei Wochen schrieb ich meinen Pflegeeltern. Mr. Kadam ließ sie von den unterschiedlichsten Orten verschicken, damit niemand die Briefe zurückverfolgen konnte. Ich gab Sarah und Mike keine Adresse an, mit der Erklärung, wir würden ständig umherziehen.
Sie benutzten ein Postfach, um mir zurückzuschreiben, und Nilima holte die Briefe ab und las sie mir am Telefon vor. Mr. Kadam überwachte, dass ich in meinen Briefen nicht zu viel preisgab, und hatte außerdem Leute angeheuert, die diskret ein Auge auf meine Pflegefamilie hatten. Sie waren mit schönen Erinnerungen und einer noch schöneren Sonnenbräune aus ihrem Urlaub zurückgekehrt und hatten nichts Sonderbares zu Hause bemerkt. Glücklicherweise hatte Lokesh sie wohl nicht
Weitere Kostenlose Bücher