Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
Kishan das Kloster Tashilhumpo besichtigten, während ich mich in dem kleinen Hotel ausruhte.
Als sie zum Abendessen zurückkehrten, rollte ich mich auf dem Bett zur Seite und winkte sie fort. Mr. Kadam verschwand, Kishan hingegen blieb.
»Es gefällt mir gar nicht, wenn du krank bist, Kells. Was kann ich tun?«
»Hm, ich glaube, da gibt es nichts, was du tun kannst.«
Er ging kurz hinaus, bevor er nach wenigen Minuten zurückkam und mir ein feuchtes Tuch auf die Stirn drückte. »Hier, ich habe dir etwas Zitronenwasser gebracht. Mr. Kadam meint, es würde dir guttun.«
Kishan zwang mich, das gesamte Glas zu leeren und goss mir dann ein weiteres aus der Flasche ein, die er früher am Tag gekauft hatte. Nach meinem dritten Glas ließ er es endlich dabei bewenden.
»Wie geht es dir?«
»Besser, danke. Jetzt sind nur noch die Kopfschmerzen da. Haben wir Aspirin?«
Kishan holte ein kleines Fläschchen. Ich schluckte zwei Tabletten, beugte mich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und massierte mir die Schläfen.
Schweigend beobachtete er mich eine Weile, dann sagte er: »Komm schon, lass mich mal.« Er schob mich weiter an den Bettrand, damit er sich hinter mich setzen konnte. Vorsichtig legte er seine warmen Hände auf meinen Kopf und begann, meine Schläfen zu massieren. Nach ein paar Minuten glitt er in mein Haar und an meinem Nacken hinab, löste die Verspannungen, die daher rührten, dass ich drei Tage reglos im Wagen gesessen hatte.
Während er meine Schultern knetete, fragte ich: »Wo habt ihr beide gelernt, so zu massieren? Ren und du, ihr seid echte Experten.«
Für einen Moment erstarrte er, dann bewegten sich seine Finger wieder. »Ich wusste nicht, dass Ren dich auch massiert hat … Mutter hat es uns beigebracht. Sie war in dieser Kunst bewandert.«
»Oh. Es fühlt sich auf jeden Fall toll an. Deine Hände sind so warm, als wären sie Heizkissen. Meine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen.«
»Gut. Leg dich hin und entspann dich. Ich kümmere mich jetzt um deine Arme und Beine.«
»Das musst du wirklich nicht. Mir geht’s schon viel besser.«
»Entspann dich einfach. Schließ die Augen und lass deine Gedanken treiben. Mutter hat uns gelehrt, dass eine Massage nicht nur den körperlichen, sondern auch den seelischen Schmerz lindern kann.« Er bearbeitete meinen linken Arm und massierte mir lange die Hand.
»Kishan? Wie war es für dich, all die vielen Jahre ein Tiger zu sein?«
Er schwieg eine Weile. Verstohlen machte ich die Augen einen Spalt auf und sah ihn an. Er starrte auf einen Punkt zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger.
»Hör auf zu blinzeln, Kells. Ich denke nach.«
Ich schloss brav die Augen und wartete geduldig auf seine Antwort.
»Der Tiger und der Mann in mir haben ununterbrochen einen Kampf ausgetragen. Nachdem meine Eltern gestorben waren und Ren gekidnappt wurde, ist Mr. Kadam auf die Suche nach ihm gegangen. Es gab keinen Grund mehr für mich, Menschengestalt anzunehmen. Ich ließ dem Tiger in mir freien Lauf. Es war beinahe, als würde ich den Tiger aus weiter Ferne beobachten. Ich war von meiner Außenwelt völlig abgeschnitten. Das Tier hatte die Oberhand gewonnen, aber es interessierte mich nicht.«
Er machte mit meinen Füßen weiter, was anfangs kitzelte. Dann knetete er meine Zehen jedoch mit solchem Geschick, dass ich genüsslich aufseufzte. »Es muss schrecklich einsam gewesen sein.«
»Ich bin gelaufen, habe gejagt … Es war reiner Instinkt. Ich bin überrascht, dass ich meine Menschlichkeit überhaupt behalten habe.«
»Ren hat mir gesagt, dass er wieder mehr Tier als Mensch war, nachdem ich fort und er allein war.«
»Das ist gut möglich. Der Tiger ist stark, und es ist sehr schwer, ein Gleichgewicht zu halten, besonders wenn man den größten Teil des Tages ein Tier ist.«
»Fühlt es sich jetzt anders an?«
»Ja.«
»Wie?«
»Ich gewinne meine Menschlichkeit Schritt für Schritt zurück. Ein Tiger zu sein, ist einfach, ein Mensch zu sein hingegen nicht. Ich muss mit Menschen kommunizieren, ihre Welt kennenlernen und einen Weg finden, mit meiner Vergangenheit umzugehen.«
»Ren hatte gewissermaßen mehr Glück als du, obwohl du in Freiheit gelebt hast.«
Er legte den Kopf schief und kümmerte sich nun um meinen anderen Fuß. »Wie meinst du das?«
»Weil er immer von Menschen umgeben war. Er hat sich niemals so allein gefühlt wie du. Natürlich, er war eingesperrt, verletzt, musste in einem Zirkus auftreten, aber er war dennoch Teil
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