Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Ruhe, ist ihre Familie.«
Miss Henry schüttelte den Kopf. »Außer den Muldoons und mir hat sie keine nennenswerte Familie.«
»Nein, Miss Henry, in Wahrheit hat Gabriella eine sehr große und weit verzweigte Familie.«
»Sie meinen die Angehörigen ihrer Mutter?«
Nates Mutter nickte.
»Sie wollten nichts von Gabriella wissen.«
»Ganz im Gegenteil. Sie haben jahrelang nach ihr gesucht … Bis man ihnen erzählte, sie wäre gestorben.«
Miss Henry starrte sie einen Moment entgeistert an, bis sie anscheinend begriff. »Enrico.« Sie sah zu Nate. »Um über ihr Geld verfügen zu können?«
»Wahrscheinlich«, antwortete er achselzuckend.
»Gabriellas Tante ist eine meiner ältesten Freundinnen«, fuhr seine Mutter fort. »Sie, ihre Schwester und ihre Tochter sind zurzeit in Paris. Ihrem letzten Brief nach reisen sie übermorgen zurück und sollten am Nachmittag in Dover eintreffen. Von dort wollen sie zu Carolines Landsitz.« Sie wandte sich zu Nate. »Wir können morgen den Zug nehmen. Dann wären wir rechtzeitig in Dover, um sie dort zu treffen und hierher zu bringen.«
»Wir? Ich fahre nirgends hin. Können wir ihnen nicht telegraphieren?«
Seine Mutter beäugte ihn streng. »Dies ist wohl kaum eine Nachricht, die man telegrafisch übermitteln sollte.«
»Ich verlasse Gabriella nicht.«
»Sie braucht unbedingte Ruhe, weißt du nicht mehr?« An Miss Henry gerichtet erklärte sie: »Der Arzt sagt, dass sie so wenige Besucher wie möglich bekommen sollte und sich nicht aufregen darf.«
»Ich habe nicht die Absicht, sie aufzuregen«, wehrte Nate sich.
»Gewiss nicht«, sagte Miss Henry.
»Nun, jedenfalls kannst du es nicht, solange du nicht hier bist. Außerdem wird sie die nächsten Tage sehr viel schlafen. Wir sind wieder zurück, ehe sie überhaupt bemerkt, dass wir fort waren. Sie braucht ihre Familie, Nathanial. Sie muss wissen, dass es Menschen gibt, denen sie etwas bedeutet.«
»Mir bedeutet sie etwas!«
»Sie hat ihren Bruder verloren, den einzigen Angehörigen, den sie zu haben glaubte. Ungeachtet seines Charakters hat sie ihn offensichtlich geliebt. Nun hat sie auch noch ihr Heim verloren. Ihre Familie kennenzulernen, wird ihr helfen. Und ich weiß, dass dir auch ihr Wohl am Herzen liegt.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Tu es für sie. Überdies bin ich gewiss, dass Miss Henry bei Gabriella bleiben möchte.«
»Ohne Frage«, beteuerte Miss Henry.
»Und da Sie und Mrs Muldoon Ihre Unterkunft verloren haben, schlage ich vor, dass Sie beide bei uns wohnen, solange es nötig ist.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Miss Henry überlegte. »Wenn wir jede Aufregung vermeiden sollten, wäre es wohl das Beste, ihr nichts von Ihren Plänen zu erzählen, sollte sie aufwachen. Die Nachricht dürfte ein ziemlicher Schock für sie werden. Auch wenn sie seit Jahren sagt, die Familie ihrer Mutter würde sie nicht interessieren, habe ich es ihr nie recht geglaubt.«
»Miss Henry«, sagte Nates Mutter sanft, »sie ist in das brennende Haus gelaufen, um die Briefe ihrer Mutter zu holen. Ich denke, das verrät uns eine Menge über ihre wahren Gefühle.«
»Ja, sie haben Recht.«
»Dann sind wir uns alle einig.« Nates Mutter strahlte.
»Nein!«, widersprach Nate, der von seiner Mutter zu Miss Henry und wieder zurück sah. »Wir sind uns ganz und gar nicht einig. Die Anhörungen vor dem Gutachterkomitee enden in zwei Tagen, mittags. Haben wir bis dahin das Siegel nicht vorgelegt, gibt es keine zweite Chance mehr. Gabriella hat hart gearbeitet für diese Gelegenheit. Das Siegel zu präsentieren war das, was sie wollte.«
»Sie wollte die Briefe ihrer Mutter«, entgegnete seine Mutter. »Womit diese Angelegenheit wichtiger ist.«
Nate biss die Zähne zusammen. »Miss Henry?«
Miss Henry dachte nach. »Mit dem Siegel könnte sie den Ruf ihres Bruders wiederherstellen. Daran lag ihr sehr viel. Andererseits hat sie sich stets gewünscht … nun, dazuzugehören, denn dieses Gefühl war ihr nie vergönnt. Deshalb, ja, ich stimme Ihrer Mutter zu, Mr Harrington.«
»Ich nicht«, sagte Nate, der die Augen verdrehte. »Natürlich sehe ich ein, dass es für sie das Beste sein mag, die Menschen kennenzulernen, die nach ihr gesucht haben. Und ich kann dich unmöglich allein reisen lassen, Mutter.«
»Hervorragend.« Seine Mutter lächelte zufrieden.
»Da sich all dies durchaus recht desaströs entwickeln kann, habe ich noch eine Idee …«
»Ich soll was?«, fragte Quint, der Nate ansah, als
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