Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
folgerte Lady Wyldewood. »Weil sie diejenigen sind, die Miss Montinis Verdacht am stärksten betrifft, werden Quinton und Nathanial ihr helfen, das Siegel wiederzufinden und den guten Namen ihres Bruders wiederherzustellen.«
Quinton schnaubte. »Ich habe Besseres zu tun, als ihr zu helfen!«
»Ich nicht«, sagte Nathanial, der den Kopf schüttelte. »Doch, zwar schon, aber ich kann mir nichts Wichtigeres vorstellen, als ein Artefakt von solcher Bedeutung aufzuspüren. Zu beweisen, dass Ambropia tatsächlich existierte, käme einer Neuschreibung der Geschichte gleich«, erklärte er und holte tief Atem. »Das ist das Material, aus dem Existenzen und Reputationen entstehen.«
»Die Reputation meines Bruders«, erinnerte Gabriella.
Nathanial sah zu ihr. »Ohne Frage. Es ist sein Fund.«
»Ich vermute, dass ein solcher Fund außerdem von großem monetären Wert ist«, sagte der Earl übertrieben gelassen. »Er dürfte bei Museen oder Sammlern ein kleines Vermögen erzielen.«
»Ja, würde er«, bestätigte Gabriella spitz. »Ich indes habe die feste Absicht, das Siegel der Antikengesellschaft zu spenden.«
»Sehr lobenswert, meine Liebe«, sagte Lady Wyldewood, »und ich habe keineswegs vor, Sie von der Entscheidung abzubringen. Allerdings ist mir die prekäre Situation bekannt, in der Männer leben, die dem Streben Ihres verstorbenen Bruders nacheifern. Sofern sie kein unabhängiges Vermögen oder eine reiche Familie haben wie meine Söhne, sind sie gänzlich von den Stipendien und Fördergeldern der Museen oder Organisationen wie der Antikengesellschaft abhängig.« Nun wirkte Lady Wyldewood besorgt. »Und nachdem Ihr einer Bruder verstorben ist und der andere vermisst wird, dürften Ihre Finanzen im günstigsten Fall unsicher sein.«
»Ich gebe zu …« Gabriella wählte ihre Worte mit Bedacht, »… dass die Kenntnisse, die ich nach Enricos Ableben über unsere finanzielle Situation erhielt, überraschend waren.«
»Das wundert mich nicht.« Die Ältere nickte. »Mein Ehemann war nicht bloß ein Gründungsmitglied besagter Gesellschaft, sondern hegte überdies eine Leidenschaft fürs Studium der Wissenschaften und der Funde aus der Antike. Bei vielen Dinnergesellschaften, die wir gaben, waren Herren wie Ihr Bruder anwesend und wurde bis spät in die Nacht über deren Arbeit und Abenteuer diskutiert. Meinen Beobachtungen zufolge waren solche Männer eher mit der Vergangenheit befasst als mit der Gegenwart und wenig um finanzielle Stabilität bekümmert. Ich bezweifle, dass Ihr Bruder sich hierin von den anderen unterschied.«
Lady Wyldewood warf ihren Kindern einen entschlossenen Blick zu. »Daher schlage ich vor, dass bis zur Klärung der Situation und Wiederbeschaffung des Siegels Miss Montini als Gast bei uns bleibt.«
»Wie bitte?«, fragte der Earl entgeistert.
Lady Regina schnaubte. »Das ist absurd.«
»Irrwitzig, aber interessant«, sagte Quinton.
Und Nathanial nickte nachdenklich. »Ich halte es für eine exzellente Idee. Wir vertrauen ihr nicht, sie vertraut uns nicht. Wie könnten wir einander besser im Auge behalten, als indem wir unter einem Dach wohnen?«
»Ja, wie wohl?«, raunte Quinton leise.
Gabriella jedoch hörte ihn kaum. Der Gedanke, im selben Haus wie Nathanial Harrington zu wohnen – der tanzte, als wäre er immer schon ihr Partner gewesen, eine verführerische Ader in ihr weckte, von deren Existenz sie gar nichts gewusst hatte, und sie sehnen machte, wenn auch nur für einen winzigen Moment, sie stünden nicht auf gegensätzlichen Seiten, schien ihr höchst gefährlich.
»Mutter.« Die Miene des Earls verfinsterte sich. »Ich kann nicht glauben, dass du eine vollkommen Fremde in unser Heim einlädst.«
»Im Grunde ist Miss Montini keine vollkommen Fremde, Sterling.« Lady Wyldewood sah Gabriella an. »Ich kannte Ihre Mutter.«
Gabriella reckte das Kinn. »Ich weiß.«
»Ach ja?«
»Nachdem mein Bruder starb, fand ich einige Briefe, die an meine Mutter gerichtet waren. Einer kam von Ihnen.«
»Es tat mir leid, von ihrem Tod und bald danach von dem Ihres Vaters zu erfahren.«
»Das ist sehr lange her«, sagte Gabriella achselzuckend, als wäre es unbedeutend.
Die Countess blieb ernst, auch wenn ein winziges Funkeln in ihren Augen aufleuchtete. »Sie hätten wegen dieser Angelegenheit gleich zu mir kommen sollen, statt auf verschlagene Methoden wie die heute Nacht zurückzugreifen.«
Gabriella besaß immerhin den Anstand, zu erröten. »Verzeihen Sie mir
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