Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
zu Quinton.
»Was starrt ihr mich alle an? Ich habe Montinis Siegel nicht gestohlen! Ich habe gar nichts gestohlen.« Quinton trank von seinem Brandy und ergänzte leise: »Nicht in jüngster Zeit.«
»Sterling«, wandte sich Lady Wyldewood an ihren Ältesten. »Kannst du nicht etwas unternehmen? Du bist doch im Vorstand der Gesellschaft.«
Der Earl verneinte stumm. »Das ist lediglich eine Ehrenposition, Mutter, die ich nur innehabe, weil sie vorher Vaters war. Wären die Mittel nicht, die wir zur Verfügung stellen und auch künftig stellen dürften, würde man mich kaum in dem Vorstand willkommen heißen.«
»Nun, wir sollten dennoch etwas tun, um Miss Montini zu helfen«, folgerte Lady Wyldewood bestimmt.
Gabriella wunderte sich. »Warum?«
Nathanial sah sie an. »Ja, Mutter, warum?«
»Mir scheint, bis diese Situation nicht aufgeklärt und die Reputation von Miss Montinis Bruder wiederhergestellt ist, wird es über unser aller Köpfen hängen. Je länger Miss Montini ihre Suche fortsetzt, umso wahrscheinlich ist, dass der Verdacht ihres Bruders, wer der Dieb oder die Diebe gewesen sein könnten, allgemein bekannt wird. Die Antikengesellschaft wird derlei Gerüchte wenig wohlwollend aufnehmen.« Lady Wyldewood blickte zu Nathanial. »Obgleich ihr nicht auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen seid, musst du dir deren Wohlwollen allein um der Glaubwürdigkeit willen erhalten. Hier steht auch dein Ruf auf dem Spiel.« Sie sah zu Quinton. »Und deiner war ohnehin nie unbefleckt.«
Quinton quittierte diese Bemerkung mit einem Schulterzucken.
»Lassen wir einmal die mehr als unkluge Entscheidung außer Acht, mitten in der Nacht in unserem Haus nach Beweisen suchen zu wollen …«
Hier wurden Gabriellas Wangen sehr heiß, was sie eigentlich nicht erwartet hätte und erst recht nicht wollte.
»… und entdeckt zu werden …«
»Das gehörte nicht zum Plan«, sagte Gabriella rasch.
Lady Wyldewood bedachte sie mit einem strengen Blick. »Und dennoch kann es sich für Sie als Vorteil erweisen.« Sie wandte sich an die anderen. »Wie ich sagte, scheint mir Miss Montini eine kluge junge Frau zu sein. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich eine Waffe benutzen, von der sie augenscheinlich gar nicht weiß, dass sie sie in Händen hält, und mit der sie sich unserer Unterstützung versichern kann.«
Der Earl runzelte die Stirn. »Welche Waffe, Mutter?«
»Würde öffentlich, dass zwei Familienmitglieder des Diebstahls verdächtigt werden, wäre das ein Skandal für uns alle.« Lady Wyldewood schüttelte den Kopf. »Es wäre in unserem Interesse, die Angelegenheit zügig aufzuklären. Schon eine Andeutung könnte verheerende Folgen zeitigen.«
Lady Regina stieß einen stummen Schrei aus. »Es würde meine Aussichten auf eine gute Partie vernichten! Mein Leben! Wir wären alle ruiniert!«
»Aha«, der Earl betrachtete Gabriella. »Würden Sie unsere Hilfe annehmen? Es käme einem belasteten Friedensschluss gleich, zweifelsohne, denn ich bezweifle, dass Sie uns vertrauen, und ich kann schwerlich behaupten, wir würden Ihnen vertrauen.«
Gabriella war wie vor den Kopf geschlagen. »Wenn ich ehrlich sein soll, Mylord, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Ein solches Angebot hatte ich nicht erwartet.«
»Lassen Sie mich eines fragen, meine Gute«, sagte Lady Wyldewood. »War Enrico Ihre einzige finanzielle Unterstützung?«
»Ja«, sagte Gabriella, ohne nachzudenken. Wieder einmal war es keine direkte Lüge, aber auch nicht die Wahrheit.
Die ältere Frau sah sie skeptisch an. »Sie haben keine weitere Verwandtschaft?«
»Nein.« Abgesehen von englischen Verwandten, von denen sie nie gehört hatte, entsprach das durchaus der Wahrheit.
»Nicht zu vergessen der Bruder, dem ich in Ägypten begegnete«, ergänzte Nathanial.
»Von ihm hörte ich seitdem nicht mehr«, sagte Gabriella hastig. »Er ist gewiss noch in der Türkei. Allerdings könnte er auch …« Sie verstummte. Ihr Leben lang hatte sie sich für einen ehrlichen Menschen gehalten. Und nun kamen ihr die Lügen mit erschreckender Leichtigkeit über die Lippen. »… für immer fort sein.«
Misstrauen funkelte in Nathanials Augen auf. Nein, er war eindeutig nicht dumm. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er die Wahrheit über ihre erste Begegnung entdeckte. Was würde er dann von ihr denken? Nein, diese furchtbare Frage wollte sie sich nicht stellen. Nathanial Harringtons Meinung von ihr war gänzlich unbedeutend.
»Somit sind wir uns einig«,
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