Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
was tun Sie hier?«
Gabriella zögerte. Anscheinend war ihre Courage dieser Aufgabe doch nicht so ganz gewachsen. Sie machte die Schultern gerade und sah den Earl an. »Ich bin hier, um Beweise zu suchen, dass Ihre Brüder meinem Bruder einen sehr bedeutsamen Fund stahlen. Infolge dieses infamen Raubes starb er.« Sie holte Luft. »Mein Name ist Gabriella Montini.«
Nathanial starrte sie an. »Deshalb kommen Sie mir so bekannt vor! Sie sehen Ihrem Bruder verblüffend ähnlich.«
»Rede keinen Unsinn«, schnaubte Quinton. »Sie sieht kein bisschen aus wie Enrico Montini. Er war mindestens zwanzig Jahre älter und insgesamt sehr viel dunkler als sie.«
»Montini«, hauchte Lady Wyldewood mehr zu sich selbst und bekam einen seltsamen Gesichtsausdruck.
»Nicht der Bruder«, winkte Nathanial ab. »Der andere Bruder, der mich in Ägypten aufsuchte.«
Gütiger Gott, er begriff immer noch nicht, dass sie jener Bruder gewesen war! Gabriella sandte ein Dankgebet gen Himmel. »Der Bruder, den Sie belogen und in die Türkei schickten?«
»Du hast was?« Empört sah der Earl seinen jüngsten Bruder an.
»Ich beschützte meinen Bruder«, verteidigte Nathanial sich.
Quinton zuckte mit den Schultern. »Unnötigerweise, aber trotzdem danke.«
»Wie auch immer, sie sieht genau wie jener Bruder aus«, sagte Nathanial. »Sind Sie Zwillinge?«
»Wir … gleichen uns aufs Haar«, antwortete Gabriella, die ihr schlechtes Gewissen ignorierte. Auch wenn es nicht ausdrücklich gelogen war, entsprach es doch nicht der Wahrheit.
Regina blickte zu ihrer Mutter. »Ich fand, dass sie eine verblüffende Ähnlichkeit mit Lady Carpenter hat.«
»Ja, tatsächlich«, sagte die ältere Frau nachdenklich.
»Ich fürchte, Miss Montini«, erklärte nun der Earl im selbstgewissen Tonfall eines Mannes, der es gewöhnt war, dass man ihm gehorchte, »dass ich eine detailliertere Darstellung brauche, die Ihre Anwesenheit hier heute Abend rechtfertigt. Es sei denn, Sie ziehen es vor, dass ich die Gendarmen rufen lasse.«
»Du kannst sie nicht verhaften lassen«, sagte Nathanial plötzlich.
Gabriella staunte. »Warum nicht?«
Der Earl sah seinen Bruder an. »Ja, warum nicht?«
»Ihr Anliegen ist legitim, obgleich sie uns fälschlicherweise verdächtigt«, erläuterte Nathanial rasch. »Wir haben das Siegel nicht an uns genommen. Aber jemand tat es und fügte ihr dadurch irreparablen Schaden zu. Es scheint mir folglich Unrecht, sie in Arrest nehmen zu lassen.«
Regina war sichtlich anderer Meinung. »Sie brach in unser Haus ein!«
»Ehrlich gesagt, Mylord, würde ich es vorziehen, einen Arrest zu vermeiden«, sagte Gabriella.
»Welches Siegel?«, fragte der Earl, dessen Geduld überstrapaziert sein musste. »Ich will alles über diese Angelegenheit wissen, und dann entscheide ich, was mit Miss Montini zu geschehen hat.« Er wandte sich zu Gabriella. »Miss Montini, wenn ich bitten dürfte.«
Sie nickte, musste aber zunächst einmal ihre Gedanken ordnen. »Mein Bruder Enrico hat sein Leben lang die gleiche Arbeit getan wie Ihre Brüder. Er studierte Archäologie und suchte nach verlorenen Schätzen aus frühester Zeit.«
»Wird das eine lange Geschichte?«, flüsterte Regina gereizt.
»Vielleicht wäre es besser, wenn wir uns in den Salon begeben, wo wir uns alle setzen können«, schlug Lady Wyldewood vor und lächelte Gabriella zu. »Um diese nachtschlafene Zeit arbeitet mein Verstand deutlich besser, wenn ich nicht von einem Fuß auf den anderen treten muss.«
»Ja, natürlich«, murmelte Gabriella.
Binnen weniger Minuten saßen sie alle in einem großen Salon, der etwas extravagant, aber geschmackvoll möbliert war. Ein Diener, der mit Andrews angesprochen wurde und sich eiligst angekleidet haben musste, erschien mit Brandy. Lady Wyldewood und deren Tochter setzten sich auf ein Sofa, Gabriella sich auf ein anderes. Der Earl und Nathanial nahmen jeweils auf einem Sessel Platz. Quinton blieb stehen, an den Kaminsims gelehnt.
Sobald alle ein Glas hatten, sah der Earl zu Gabriella. »Miss Montini, fahren Sie bitte fort.«
»Sehr wohl.« Sie überlegte kurz. »Mein Bruder fand ein antikes akkadisches Siegel, aus Grünstein, glaube ich. Diese Art Siegel ist zylindrisch geformt. Es waren Symbole eingeritzt, wie sie in der Antike üblich waren. Rollte man das Siegel auf feuchtem Lehm, ergaben die Symbole einen zusammenhängenden Abdruck. Dabei kann es sich um eine Botschaft oder eine Geschichte handeln, oder es hat eine religiöse
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