Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
das?«, fragte er ruhig.
»Ja, tun sie.« Sie musterte ihn misstrauisch.
Was er dachte, war lächerlich.
»Es ist sehr verstörend.«
Bei jeder anderen Frau hätte er den Gedanken umgehend verworfen.
»Verzeihen Sie.«
Gänzlich ausgeschlossen.
Sie wirkte unsicher. »Nathanial, was überlegen Sie?«
Aber da es sich um Gabriella handelte, kam es Nate nicht im Mindesten unwahrscheinlich vor. Dumm und gedankenlos durchaus, aber nicht außerhalb des Möglichen.
»Nathanial?«
Es wäre genau die Art impulsives, gefährliches, närrisches Verhalten, das zu ihr passte.
»Ach, es ist nichts von Belang.« Er nahm ihr das Glas ab, stellte es auf einen Stuhl und legte ihre Hand in seine Ellbogenbeuge, um sie aus dem Saal zu führen. »Ich dachte nur gerade über Familienähnlichkeiten nach und wie sehr Sie Ihrem Bruder gleichen.«
»Wirklich? Mir fiel nie eine Ähnlichkeit auf.« Nein, denn sie sah ganz und gar nicht wie Enrico Montini aus, der einzige Bruder, den sie Nates Annahme nach hatte. Und er wusste auch, wie er zu einer entsprechenden Bestätigung gelangte.
Achtzehntes Kapitel
»Lord Rathbourne wird gleich bei Ihnen sein.« Der strenge Butler seiner Lordschaft verneigte sich knapp, ging hinaus und schloss die Bibliothekstür hinter sich.
Gabriella hatte ihre liebe Not, nicht vor Nervosität von einem Fuß auf den anderen zu treten. Aber lieber würde sie sich die Pulsadern aufschneiden, ehe sie Nathanial gegenüber zeigte, dass sie ein klein wenig ängstlich war. Wenigstens schien ihm auch nicht wohl. Er hatte nicht herkommen wollen, oder, nein, er hatte nicht gewollt, dass s ie herkam. Und er hatte keinen Hehl aus seinen Gefühlen gemacht.
Gestern Morgen hatten sie darüber diskutiert, und den Abend davor, nach der Rückkehr vom Ball, ebenfalls. Auch gestern Nachmittag, als die Nachricht von Lord Rathbourne eintraf, der sie für heute Vormittag einlud, war es wieder zu einer Diskussion gekommen. Gabriella vermutete, dass viele im Haushalt, Xerxes eingeschlossen, eher von einem Streit als einer Diskussion sprechen würden. Aber mit Nathanial zu streiten, hielt ihn zumindest auf Distanz, und das war es, was sie wollte. Nein, nicht wollte, sie musste ihn auf Distanz halten.
Abgesehen von ihren gegensätzlichen Meinungen betreffs Lord Rathbourne, schien Nathanial insgesamt verärgert. Gabriella hatte ihn ertappt, wie er sie ansah, wenn er glaubte, sie würde es nicht bemerken. Als brütete er über einer Frage, die er nicht aussprach. Oder als wollte er ihre Geheimnisse erkunden. Was höchst besorgniserregend war. Überdies war Quinton offenbar verschwunden, was anscheinend niemanden wunderte. Xerxes hatte von den anderen Bediensteten gehört, dass Master Quinton häufig tagelang verschwand, was man seinem unsteten Lebenswandel zuschrieb. Es hieß, er würde die Zeit mit Trinken, Spielen und Frauen verbringen. So oder so wirkte Nathanial verdrossen, dass sein Bruder fort war.
»Guten Tag, Miss Montini.« Lord Rathbourne kam herein, schritt geradewegs auf sie zu und nickte dabei zu Nathanial. »Mr Harrington.«
»Guten Tag, Sir«, antwortete Nathanial höflich reserviert.
»Miss Montini.« Lord Rathbourne nahm ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Kaum begegnete sein Blick ihrem, lief ihr ein Schauer über den Rücken. »Sie ahnen nicht, wie entzückt ich bin, dass Sie heute kommen konnten.«
»Ich danke Ihnen für die Einladung, Mylord.« Gabriella lächelte verhalten und zog ihre Hand aus seiner. »Wird sich Lady Rathbourne zu uns gesellen?«
»Sie ist bereits aufs Land zurückgekehrt«, antwortete er ohne den leisesten Anflug von Bedauern. »Meine Sammlungen interessieren meine Gemahlin nicht, aber ich hoffe inständig, Sie werden sie so faszinierend finden, dass Sie nicht zögern, mein Angebot anzunehmen.«
»Im Moment bin ich anderweitig beschäftigt.«
»Sehr beschäftigt«, ergänzte Nathanial.
Lord Rathbourne beachtete ihn gar nicht. »Ah ja, Ihre Suche nach dem verlorenen Siegel. Aber, Miss Montini, die kann unmöglich Ihre gesamte Zeit beanspruchen. Und ich muss gestehen, dass ich, wenn ich mit einer dringlichen Angelegenheit belastet bin, immer wieder feststelle, wie sehr es meinen Geist erfrischt, mich zwischendurch gänzlich anderem zu widmen. Auf die Weise finde ich auch im dringlicheren Fall rascher zu einer Lösung. Überdies wird Ihre Suche auf die eine oder andere Weise bald zu Ende sein.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Nathanial misstrauisch.
Lord Rathbourne bedachte
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