Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
auf Abstand. »Mir wurde noch nie das Herz gebrochen, und ich kenne keinen Verlustschmerz außer dem, den man empfindet, wenn der Bruder stirbt. Meine Mutter habe ich nicht gekannt, und als mein Vater starb, war ich noch zu jung, um es zu begreifen. Vielleicht hielt ich mich deshalb mein Leben lang für stark, aber dies hier, du … Für mich ist es beängstigend, also sollte ich es lieber meiden. Ich fürchte, mein Herz ist fragiler als ich dachte.«
»Ich würde dich nie verletzen.« Er streckte die Hände nach ihr aus, aber sie wich weiter zurück.
»Du würdest es nicht wollen, aber du wirst, zwangsläufig.«
»Das glaube ich nicht.«
»Was du glaubst, ist nicht annähernd so entscheidend wie das, was ich über … die Welt weiß, wenn man so will. Für uns gibt es keine Zukunft. Und nun geh bitte.«
»Möchtest du wirklich, dass ich gehe?«
»Ja.« Sie wies zur Tür. »Bitte, geh jetzt.«
»Na schön.« Er sah sie eine Weile stumm an. »Aber es ist noch nicht vorbei, Gabriella.«
»Natürlich nicht«, sagte sie und strich sich eine verirrte Locke aus dem Gesicht. »Wir müssen immer noch das Siegel finden.«
»Und es gibt anderes zu klären. Wie beispielsweise das Angebot von Lord Rathbourne …«
»Oh, ich denke …«
»Und deine Zukunft.«
»Ich würde meinen, meine Zukunft hat nichts …«
»Ich habe dir eine Menge zu sagen, allerdings bin ich nicht sicher, ob dies der geeignete Moment ist. Du bist gegenwärtig nicht besonders vernünftig.«
Sie war sichtlich empört. »Ich bin immerzu vernünftig!«
»Ja, das ist noch so etwas, das ich an dir liebe.« Grinsend verließ er das Zimmer, in dem Gabriella verwirrt oder unsicher oder … hoffnungsvoll zurückblieb.
Er hatte ihr nach wie vor nicht gesagt, dass ihn ihre Vergangenheit nicht interessierte. Wahrscheinlich würde sie ihn noch weniger kümmern, wüsste er alles, was es zu wissen gab. Aber im Augenblick wusste er alles, worauf es ankam.
Sie war noch nie verliebt gewesen. Zuvor. Was für ein herrliches Wort! Sein Grinsen wurde breiter.
Bis heute.
Mit schwungvollen Schritten, die er bei jedem anderen Mann für ein Anzeichen von leichter Trunkenheit gehalten hätte, tänzelte er den Flur hinunter. Sicher waren Probleme zu überwinden, die über das verschwundene Siegel hinausgingen. Zunächst einmal war da der Unsinn mit Rathbourne und der lachhaften Stellung, die er Gabriella anbot. In Anbetracht ihrer Bildung und Intelligenz war Nate durchaus verständlich, warum sie das Angebot reizvoll fand. Und dann gab es die Frage des Geldes. Nach dem Tod ihres Bruders stand sie fraglos ohne Mittel da. Wie man allein schon daran erkannte, dass ihre Kleidung, bis auf das apricot-farbene Ballkleid, zwar gepflegt, aber eindeutig älter war. Zudem könnte Rathbournes Stellung sogar jemanden verlocken, der in keinerlei finanzieller Not war.
Nate kam an Quints Zimmer vorbei und hörte Geräusche von drinnen. Sehr gut. Sein Bruder war zurück. Es wurde höchste Zeit, dass sie sich ausführlich unterhielten. Nicht dass Nate glaubte, Quint würde etwas über das verschwundene Siegel wissen. Dennoch hatte er seit den Enthüllungen von McGowan ein merkwürdiges Gefühl, das nicht wieder weggehen wollte.
Nate klopfte an die Tür. Von drinnen war eine leise Stimme zu hören. Er öffnete und sah hinein, konnte seinen Bruder aber nicht in dem kleinen Salon seitlich vom Schlafzimmer entdecken.
»Quint?«
»Hier bin ich.« Sein Bruder kam halb angezogen aus dem Ankleidezimmer und trocknete sich das Gesicht mit einem Handtuch.
Nate zog eine Braue hoch. »Bist du jetzt erst aufgestanden?«
Quint grinste.
Nate betrachtete ihn. Quint war der einzige Mensch, den er kannte, der zwei Tage lang trinken, herumhuren und wer weiß was sonst noch tun konnte und hinterher frisch und ausgeruht wirkte.
»Wir müssen reden«, sagte Nate streng.
»Müssen wir?« Quint warf das Handtuch auf einen Sessel. »Dein Tonfall verheißt nichts Gutes.« Er ging zurück ins Ankleidezimmer. »Worüber möchtest du sprechen, kleiner Bruder?«
»Miss Montini …«
»Ah, ja, die entzückende Miss Montini.« Nachdem Quint sich ein Hemd ausgesucht hatte, trat er vor den ovalen Standspiegel und zog es sich über. Beide Brüder verzichteten schon seit Jahren auf einen Kammerdiener, sogar in London. »Hast du sie schon geküsst?«
»Das tut nichts zur Sache und geht dich überdies nichts an.«
Quint sah ihn fragend im Spiegel an.
»Ein oder zwei Mal vielleicht«, murmelte Nate.
»Und vor
Weitere Kostenlose Bücher