Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Mutter beobachtete Gabriella weiterhin nachdenklich. Derweil wusste Nate nicht, was er als Nächstes tun sollte. Auf jeden Fall musste er sehr vorsichtig sein, sonst wäre jede Hoffnung, Gabriellas Herz und Hand zu gewinnen, dahin. Ohne Reggies unausgesetztes, aufgeregtes Geplapper über die Ballsaison, wen sie kennengelernt hatte und welche gesellschaftlichen Ereignisse noch bevorstanden, wäre das Abendessen beklemmend still verlaufen.
Nun schritt Nate in seinem Zimmer auf und ab, einen Morgenmantel über seine Nachtkleider geworfen und ein Glas Brandy in der Hand. Sterling hatte darauf bestanden, dass Quint ihn und Reggie zu einem Hauskonzert begleitete, das sich für alle außer Nates Schwester entsetzlich öde anhörte. Ihre Mutter hatte gesagt, sie müsse Korrespondenz erledigen, und sich in ihre Räume zurückgezogen. Und Gabriella, die sich während des Essens konsequent geweigert hatte, ihn anzusehen, hatte erklärt, es wäre ein langer Tag gewesen und sie sei müde. Nate hatte beabsichtigt, sich ebenfalls frühzeitig zur Ruhe zu begeben, stellte allerdings fest, dass er viel zu rastlos war, um auch nur an Schlaf zu denken.
Er hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, unter vier Augen mit Gabriella zu sprechen und ihr zu erzählen, was er von Quint erfahren hatte. Vor allem aber war er nicht sicher, wie er ihr sagen sollte, dass er zwar wüsste, wer ihrem Bruder das Siegel stahl, und dass es kurzfristig im Besitz seines Bruders gewesen war, sie jedoch nach wie vor nicht wussten, wo es nun war. Diese Frage blieb womöglich auf immer unbeantwortet.
Und sie war nicht die einzige. Er nippte an seinem Brandy. Es gab noch sehr vieles, was er nicht über Gabriella wusste. Er war sich ziemlich gewiss, dass sie jener ominöse Bruder gewesen war, der ihn in Ägypten aufsuchte. Und er hegte außerdem keinen Zweifel, dass »John«, der Diener, in Wahrheit Xerxes Muldoon war. Aber seit dem Ball der Antikengesellschaft hatte er noch nicht mit dem Hünen sprechen können. Nate war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, Gabriella von dem Irrsinn abzubringen, für Lord Rathbourne arbeiten zu wollen – und seinem Bruder die Wahrheit zu entlocken.
Nicht zu vergessen, dass er Gabriella immer noch nichts von seinen Gefühlen gesagt hatte, und auch hier wusste er nicht recht, wie er es anstellen sollte. Platzte man einfach mit einer Liebeserklärung heraus, hielt vollkommen unvermittelt um ihre Hand an? Was er auch tat, er war beinahe sicher, dass es zu spät wäre, wenn er nicht bald handelte.
Er atmete langsam aus. Er hatte sich noch nie als Feigling gesehen, aber die Angst, sie nicht für den Rest seines Lebens an seiner Seite zu haben, lastete wie ein Bleigewicht auf seinem Herzen. Nein, er sollte lieber gar nichts sagen, ehe er riskierte, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte. Aber hatte Gabriella nicht gesagt, sie wäre noch nie zuvor verliebt gewesen? Immerhin schien es zu bedeuten, dass sie gegenwärtig verliebt war. Er klammerte sich an dieses eine Wort wie ein schiffbrüchiger Seemann an ein Stück Treibholz.
Die Situation war vollkommen absurd. All die ungeklärten Dinge zwischen ihnen trieben ihn noch in den Wahnsinn. Er stürzte den Rest seines Brandys herunter und stellte das Glas neben die Karaffe. Er brauchte Klarheit, und die sofort.
Also ging er zur Tür und riss sie auf.
Vor ihm stand Gabriella, eine Stola über ihrem Nachtkleid und die Hand zum Klopfen erhoben.
Einundzwanzigstes Kapitel
»Was machst du hier?«, fragte Nathanial streng.
Sogleich schwand ihre Zuversicht, und sie streckte die Schultern nach hinten. »Ich möchte …« Was wollte sie? Von einem richtigen Mann verführt werden? Von ihm? »Mit dir sprechen.«
»Ach ja?« Er musterte sie. »In diesem Aufzug?«
»Du hast heute gesagt, dass noch vieles ungeklärt ist. Und ich bin hier, um … es zu klären.«
»Es?«
»Es. Alles.« Sie zog die Brauen zusammen. »Bist du immer so begriffsstutzig, oder provoziere ich dich unabsichtlich, mich zu ärgern?«
»Ja, Letzteres muss es sein«, sagte er schmunzelnd. »Möchtest du hereinkommen?«
»Nein!«, antwortete sie etwas zu scharf. »Ich möchte hier auf dem Flur stehen bleiben.«
»Es wäre höchst skandalös, allein mit mir in meinen Zimmern zu sein, zumal in deinem Aufzug. Die meisten meiner Familie sind fort, Mutters Gemächer sind im anderen Flügel, und die Bediensteten haben sich schon zurückgezogen. Wir sind also ganz allein.«
»Das weiß ich.«
»Nun gut.« Er trat
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