Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Zukunft wäre noch nicht entschieden, und ihr nicht widersprochen, als sie ihm erklärte, dass sie keine gemeinsame Zukunft hätten. Natürlich nicht. Die Brüder eines Earls heirateten nicht die gefallenen Schwestern von Schatzsuchern. Solche Dinge mochten in Märchen geschehen; das wahre Leben indes war gänzlich anders.
Sie hatte die feste Absicht gehabt, aus seinem Leben zu verschwinden, wenn die Suche beendet war, vielleicht zu reisen. Aber nun bot Rathbourne ihr noch eine andere Möglichkeit. Und sie musste London nicht zwingend verlassen, um Nathanial aus dem Weg zu gehen. Außerdem wäre er zweifellos bald wieder mit seinem Bruder auf Reisen, in jenen Regionen der Welt, an denen die Überbleibsel jahrtausendealter Kulturen zu finden waren. Nathanials und ihr Leben würden sich in unterschiedliche Richtungen bewegen, und folglich war es sehr wahrscheinlich, dass sie sich nie wieder begegneten. Bei dem Gedanken regte sich ein entsetzlicher Schmerz in ihr.
Wie anders hätte ihr Leben verlaufen können. So müßig solche Überlegungen auch sein mochten, konnte sie nicht umhin, an ihre Mutter und jene Familie zu denken, die sie nie kennengelernt hatte. Sie stand auf und ging ans Fenster. Es war zu spät. Man konnte nicht umkehren und sein Leben von vorn beginnen. Sie war, wer sie war, und nichts konnte das ändern.
Trotz allem, was sie zu Rathbourne und Nathanial gesagt hatte, war sie sich überhaupt nicht sicher, ob es klug wäre, das Angebot seiner Lordschaft anzunehmen. Nathanials Einwände stimmten überein mit ihren eigenen Bedenken. Wollte man Ruin in Grade einteilen, würde ihre Stellung bei Rathbourne weit oben rangieren und sie um jedwede Hoffnung auf Ehrbarkeit bringen, auch wenn sie zweifellos ihr Ansehen in der abgeschiedenen Welt der Archäologen stärkte. Sie wäre, was noch keine Frau vor ihr zu sein gewagt hatte. Und sie würde den Preis dafür zahlen. Immerhin gäbe es ihrem Leben einen Sinn und all dem Wissen, das sie sich so hart erarbeitet hatte, einen praktischen Nutzen. Und sollte ihr Herz mit der Zeit ebenso mürbe, fragil und antik werden wie die Schätze in Rathbournes Sammlung, wem würde es auffallen? Wen kümmerte es?
Es war ein trauriger Gedanke, den sie sogleich wieder verscheuchte. Mit dem Rest ihres Lebens könnte sie sich später befassen. Nathanial und sie mussten immer noch das Siegel finden. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass es schwierig bis unmöglich würde, auch wenn sie es ungern einsah. Doch allmählich sollte sie sich damit abfinden. Sie hatten bisher noch keine nennenswerten Informationen aufgetan, wer das Siegel gestohlen hatte und wo es jetzt sein könnte. Morgen hätte sie vollständigen Zugang zu Rathbournes Sammlungen und konnte überprüfen, ob seine Behauptung, er hätte es nicht, wahr war. Sie wusste nicht, was sie sonst tun könnte.
Sich jedoch geschlagen und die Suche aufzugeben, würde bedeuten, auch Nathanial zu verlassen. Sie wusste, dass der Tag zusehends näher rückte. Und sie wusste auch, dass diese Sehnsucht in ihr, dieses Gefühl der Unvermeidlichkeit, wann immer sie in seine Augen sah, der Vollkommenheit, wenn er sie in den Armen hielt, Liebe sein musste. Gäbe es nicht jene Indiskretion in ihrer Jugend …
Nein, es war nicht bloß das, was sie beide trennte. Sie stammten aus unterschiedlichen Welten, und daran konnte nichts etwas ändern. Blind sah sie hinunter auf die Straße. Einmal war sie von einem Jungen verführt worden, ein flüchtiges, nicht besonders angenehmes Erlebnis, das beinahe so schnell vorbei gewesen war, wie es angefangen hatte. Heute hatten Rathbournes Versprechungen sie ebenfalls verführt. Und nun verlangte es sie abermals nach einer Verführung.
Falls sie den Rest ihres Lebens allein verbringen sollte, schien es eine Schande, nicht für eine letzte Erinnerung zu sorgen, die sie durch die langen Jahre vor ihr trug. Eine Nacht der Leidenschaft und Sinnlichkeit in den Armen des Mannes, den sie liebte. Eine Nacht, von der sie sich für wenige Stunden einredete, sie wäre nicht das Ende, sondern der Anfang.
Natürlich wäre eine Nacht niemals genug, doch wenn sie Nathanial nicht für immer haben konnte, musste sie genügen.
Das Dinner war seltsam. Alle schienen mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Quint war sichtlich verärgert, weil er das Siegel verloren hatte. Gabriella war noch verschlossener als sonst. Wahrscheinlich ging ihr Rathbournes Angebot durch den Kopf. Sterling war so reserviert wie immer, und Nates
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