Pfand der Leidenschaft
Sicherheit … nicht wahr?«
Merripen zuckte verhalten mit den Schultern. Seine dunklen Augen gaben nichts von seinen Gedanken preis.
»Auf dem Land gibt es keinerlei Ablenkungen«, meinte Amelia. »Und auf jeden Fall weniger Schwierigkeiten, in die Leo geraten könnte.«
»Ein Mann, der auf der Suche nach Schwierigkeiten ist, wird sie überall finden.«
Nach langen Minuten des schier unerträglichen Wartens kehrte Rohan zum offenen Einspänner zurück und machte die Tür auf.
»Wo ist er?«, wollte Amelia sofort wissen, als der Roma wieder einstieg.
»Nicht hier. Nachdem Lord Ramsay mit einem der Mädchen nach oben verschwunden ist und … äh … das Geschäftliche abgewickelt war … hat er das Bordell verlassen.«
»Und wohin ist er gegangen? Habt Ihr gefragt …?«
»Er meinte wohl, dass er sich auf den Weg zu einer Taverne namens Hell and Bucket macht.«
»Welch liebreizender Name«, erwiderte Amelia verächtlich. »Wisst Ihr, wie man dort hinkommt?«
Rohan ließ sich neben ihr in die Polster fallen und blickte zu Merripen. »Folgt St. James in östlicher Richtung und biegt nach der dritten Kreuzung links ab.«
Merripen schnalzte mit den Zügeln, und die Kutsche rollte an drei Prostituierten vorbei.
Amelia betrachtete die Frauen mit unverhohlener Neugier. »Wie jung einige von ihnen sind«, sagte sie traurig. »Wenn doch nur eine wohltätige Institution eine ehrbare Arbeit für sie finden könnte.«
»Die meisten sogenannten wohltätigen Institutionen sind keinen Deut besser«, entgegnete Rohan.
Sie sah ihn empört an. »Ihr denkt also, eine Frau sollte lieber als Prostituierte arbeiten, als eine redliche Stellung anzunehmen, die ihr erlauben würde, ihr Leben in Würde zu verbringen?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber einige Arbeitgeber sind noch brutaler als Zuhälter oder eine Bordellwirtin. Dienstboten sind ihren Herren völlig schutzlos ausgeliefert – insbesondere das weibliche Personal. Und falls Ihr tatsächlich glauben solltet, dass es würdevoll ist, in einer Mühle oder Fabrik zu arbeiten,
dann habt Ihr nie ein Mädchen gesehen, das beim Binden von Besen ihre Finger verloren hat. Oder eine Frau, die in einer Baumwollmühle arbeitet und deren Lungen vom Einatmen der Staubflocken verklebt sind und die ihr dreißigstes Lebensjahr nicht erreichen wird.«
Amelia öffnete den Mund, um ihm eine Antwort entgegenzuschleudern, überlegte es sich dann aber doch anders. Egal, wie sehr es sie verlangte, dieses Streitgespräch fortzuführen, war es doch ungebührlich – selbst für eine alte Jungfer – sich über Prostituierte zu unterhalten.
Stattdessen setzte sie eine Miene voll kühler Gleichgültigkeit auf und sah aus dem Fenster. Obwohl sie Rohan keines Blickes würdigte, spürte sie, dass er sie beobachtete. Und auch sie war sich seiner Anwesenheit mit jeder Faser ihres Körpers bewusst. Er benutzte kein Eau de Cologne, hatte sich keine Pomade ins Haar geschmiert, und dennoch stieg ihr ein berauschender Duft in die Nase, herb und frisch, wie Gewürznelken.
»Euer Bruder hat den Titel erst kürzlich geerbt«, sagte Rohan.
»Ja.«
»Bei allem Respekt, aber Lord Ramsay scheint auf seine neue Rolle schlecht vorbereitet zu sein.«
Amelia konnte ein wehmütiges Lächeln nicht unterdrücken. »Das ist keiner von uns. Es war eine überraschende Wende der Dinge für die Hathaways. Immerhin gab es mindestens drei andere Männer in der Erbfolge vor Leo. Doch sie sind alle in rascher Abfolge gestorben. Den Lord Ramsays ist anscheinend nur ein kurzes Leben vergönnt. Und wenn sich nicht
bald etwas ändert, wird mein Bruder nicht viel länger durchhalten als seine Vorgänger.«
»Man weiß nie, was das Schicksal noch für einen bereithält.«
Als sich Amelia zu ihm wandte, bemerkte sie, dass er sie mit einem genüsslich musternden Blick in Augenschein nahm, und ihr Herz schlug auf einmal schneller. »Ich glaube nicht ans Schicksal«, sagte sie. »Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied.«
Rohan lächelte. »Jeder, selbst die Götter, sind machtlos, sobald sich das Rad des Schicksals gedreht hat.«
Amelia sah ihn argwöhnisch an. »Insbesondere Ihr, der Ihr in einem Spielclub arbeitet, solltet doch alles über Wahrscheinlichkeiten und Gewinnchancen wissen. Was bedeutet, dass man als rational denkender Mensch nicht an den Zufall, die Vorhersehung oder das Schicksal glauben kann.«
»Ich weiß alles über Wahrscheinlichkeiten und Gewinnchancen«, pflichtete ihr Rohan bei. »Dennoch glaube ich
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