Pfand der Leidenschaft
Sache.«
Sie hatte Recht. Aber Cam war schon seit Langem nicht mehr so gut unterhalten worden. Keine sinnliche Verführung, keine geschickte Kurtisane, nicht einmal ein Raum voller unbekleideter Frauen hätte sein Interesse auch nur halb so sehr wecken können wie Miss Amelia Hathaway und ihre rote Schleife.
»Ich begleite Euch«, erklärte er bestimmt.
Sie runzelte die Stirn. »Nein, vielen Dank.«
»Ich bestehe darauf.«
»Ich brauche Eure Dienste nicht, Mr. Rohan.«
Cam konnte sich eine Vielzahl von Diensten vorstellen, die sie offenkundig bräuchte und bei denen er ihr nur allzu gerne behilflich wäre. »Wahrscheinlich
würde jeder einen Nutzen daraus ziehen, wenn Ihr Ramsay einsammelt und so schnell wie möglich London verlasst. Ich verstehe es als meine Bürgerpflicht, Eure Heimreise zu beschleunigen.«
Drittes Kapitel
Obwohl sie das Bordell ohne Schwierigkeiten zu Fuß hätten erreichen können, fuhren Amelia, Merripen und Rohan in der alten Kalesche zum Bradshaws. Sie hielten vor einem unscheinbaren georgianischen Gebäude. Für Amelia, die sich einen solchen Ort viel üppiger, verschwenderischer, opulenter vorgestellt hatte, war die Fassade des Bordells enttäuschend einfach gehalten.
»Bleibt in der Kutsche«, befahl Rohan. »Ich gehe hinein und erkundige mich nach Ramsay.« Er sah Merripen streng an. »Lasst Miss Hathaway keine Sekunde aus den Augen. Zu dieser Tageszeit ist es gefährlich.«
»Es ist früher Abend«, widersprach Amelia. »Und wir sind im Westend, inmitten von Scharen gut gekleideter Gentlemen. Wie gefährlich könnte das wohl sein?«
»Ich habe diese gut gekleideten Gentlemen bei Dingen gesehen, bei denen Ihr allein vom Hören Ohnmachtsanfälle bekämt.«
»Ich falle nie in Ohnmacht«, entrüstete sich Amelia.
Rohans Lächeln war wie ein Aufblitzen von Weiß im düsteren Innern der Kutsche. Er stieg aus und schien sich in der Nacht aufzulösen, als wäre er ein Teil von ihr, verschmolz mit der Dunkelheit, bis nur noch das Schimmern seines ebenholzschwarzen Haares
und das Glitzern des Diamanten an seinem Ohr zu sehen waren.
Amelia starrte Rohan verwundert nach. In welche Schublade sollte man einen solchen Mann nur stecken? Er war weder ein Gentleman noch ein Lord, kein gewöhnlicher Arbeiter und nicht einmal ein richtiger Zigeuner. Bei der Erinnerung an den Moment, als er ihr in die Kutsche geholfen hatte, lief ihr ein heißer Schauder bis unters Korsett. Ihre Hand war zwar im Gegensatz zu seiner behandschuht gewesen, aber sie hatte dennoch seine warmen, starken Finger gespürt. Und sie hatte das Funkeln eines dicken goldenen Rings an seinem Daumen bemerkt. So etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen.
»Merripen, was bedeutet es, wenn ein Mann einen Ring am Daumen trägt? Ist das ein Brauch bei euch Roma?«
Merripen, der sich bei der Frage offensichtlich unwohl fühlte, blickte durchs Fenster in die feuchtkühle Nacht. Eine Gruppe lachender junger Männer, die kostspielige Mäntel und hohe Zylinder trugen, ging am Wagen vorbei. Zwei von ihnen blieben stehen und sprachen eine auffällig bunt gekleidete Frau an. Stirnrunzelnd beantwortete Merripen Amelias Frage: »Es bedeutet Eigenständigkeit und Gedankenfreiheit. Ebenso ein gewisses Außenseiterdasein. Den Ring am Daumen zu tragen, ist eine Art Mahnmal, dass sein Platz im Leben in Wirklichkeit ein anderer ist.«
»Warum nur sollte sich Mr. Rohan so etwas ins Gedächtnis rufen wollen?«
»Weil eure Welt verführerisch ist«, sagte Merripen verdrossen. »Es ist schwer, ihr zu widerstehen.«
»Warum musst du ihr widerstehen? Ich verstehe einfach nicht, was so schlimm daran sein mag, in einem Haus zu leben, ein geregeltes Einkommen zu haben und Dinge wie Geschirr oder Polstermöbel zu genießen.«
» Gadji «, seufzte er resigniert, was Amelia für einen kurzen Augenblick ein Lächeln entlockte. Es war das Wort für eine Nicht-Zigeunerin.
Sie lehnte sich in die abgewetzten Sitze zurück. »Ich hätte nie angenommen, ich könnte mir irgendwann einmal verzweifelt wünschen, dass sich mein Bruder in einem Freudenhaus aufhält. Aber wenn einem nur die Wahl bleibt zwischen einem Bordell und ihn mit dem Gesicht nach unten aus der Themse zu fischen …« Sie brach ab und presste die Fingerknöchel ihrer geballten Faust gegen die Lippen.
»Er ist nicht tot.« Merripens Stimme war tief und sanft.
Amelia versuchte mit aller Gewalt, seinen Worten Glauben zu schenken. »Wir müssen Leo aus London schaffen. Auf dem Land wäre er in
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