Pfand der Leidenschaft
ich bestehe darauf, unser Liebesleben zu besprechen. Es ist so viel amüsanter als Arbeit.« Er lehnte sich gespielt träge in seinen Stuhl zurück. »Obwohl du stets so schrecklich taktvoll und diskret vorgegangen bist, Rohan, kam ich nicht umhin zu bemerken, mit welch glühender Leidenschaft du umworben wirst. Anscheinend musst du einen besonderen Reiz auf die Londoner Damenwelt ausüben. Und ganz offensichtlich
hast du keine Gelegenheit ungenützt verstreichen lassen.«
Cam sah ihn ausdruckslos an. »Entschuldige, aber willst du mit deiner Einschätzung meiner Liebesabenteuer auf irgendetwas hinaus, oder handelt es sich lediglich um leeres Geschwätz, Mylord?«
Mit verschränkten Armen sah ihn St. Vincent eindringlich an. »Da du in der Vergangenheit kein Problem mit deiner Begierde hattest, kann ich nur annehmen, dass sie – wie es auch bei anderen Gelüsten geschehen kann – mit einem Überfluss an gleichförmiger Monotonie gestillt wurde. Vielleicht müsstest du einfach mal etwas Neues ausprobieren.«
Während Cam über die Worte nachdachte, die sonderbarerweise sogar einen Sinn ergaben, fragte er sich verwundert, ob der ehemals notorisch veranlagte Wüstling nach seiner Heirat jemals wieder in Versuchung geführt worden war.
Da Cam Evie seit seiner Kindheit kannte, in der sie häufig ihren verwitweten Vater im Club besucht hatte, fühlte er sich für sie verantwortlich, als sei sie seine kleine Schwester. Niemand hätte die sanftmütige Evie mit einem solch lasterhaften Lebemann verkuppelt. Und wahrscheinlich war niemand überraschter gewesen als St. Vincent höchstpersönlich, als sich ihre Zweckheirat in eine leidenschaftliche Liebesehe verwandelt hatte.
»Wie geht es dem Eheleben?«, fragte Cam leise. »Oder hat sich bei euch bereits ein Überfluss an gleichförmiger Monotonie eingeschlichen?«
St. Vincents Gesichtsausdruck wurde weich, und die hellblauen Augen leuchteten beim Gedanken an seine Frau auf. »Mir ist klargeworden, dass man von
der richtigen Frau nie genug haben kann. Ich würde einen solchen Überfluss an Glück mit offenen Armen begrüßen – aber ich bezweifle, dass eine derartig überschäumende Wonne überhaupt möglich ist.« Er klappte das Geschäftsbuch mit bestimmter Hand zu und stand vom Schreibtisch auf. »Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, Rohan. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«
»Und was ist mit der Buchhaltung?«
»Ich belasse den Rest in deinen fähigen Händen.« Auf Cams grimmigen Blick hin zuckte St. Vincent wie ein Unschuldslamm mit den Schultern. »Rohan, einer von uns ist ein unverheirateter Mann mit ausgezeichneten Mathematikkenntnissen und keinerlei Plänen für den Abend. Der andere ist ein chronischer Schwerenöter und in der Stimmung auf ein Schäferstündchen, und zwar mit einer willigen und reizenden jungen Gattin, die zu Hause auf ihn wartet. Wer glaubst du, sollte sich um die verdammten Bücher kümmern?« Zum Abschied hatte ihm St. Vincent nonchalant zugewinkt und das Büro verlassen.
St. Vincents Ratschlag lautete also etwas »Neues« – nun ja, dieses Wort traf sicherlich auf Miss Hathaway zu. Cam hatte stets erfahrene Frauen vorgezogen, die eine Verführung als ein sinnliches Spiel verstanden und nicht dem Trugschluss erlagen, unbeschwertes Vergnügen mit tiefen Gefühlen zu verwechseln. Er hatte sich nie in der Rolle eines Lehrers gesehen, der naiven jungen Damen den Weg zur Leidenschaft beibrachte. Vielmehr war die Vorstellung, eine Jungfrau zu deflorieren, für ihn geradezu abstoßend. Nichts als Schmerz für sie, gepaart mit der beängstigenden Möglichkeit auf bittere Tränen und schreckliches Bedauern
im Nachhinein. Bei der Vorstellung lief es ihm kalt den Rücken hinab. Nein, Miss Hathaway war wohl nicht die Richtige, um etwas »Neues« auszuprobieren.
Hastig lief Cam die Treppe zum Salon hinauf, in dem die Frau mit dem dunkelhäutigen Chal auf ihn wartete. Merripen war ein weit verbreiteter Name bei den Roma. Allerdings hatte der Mann eine ungewöhnliche Stellung inne. Er schien in den Diensten der Dame zu stehen, war ihr Lakai, eine eigentümliche und verpönte Tätigkeit für einen freiheitsliebenden Zigeuner.
Cam und Merripen hatten also etwas gemein. Beide arbeiteten für Gadjos , anstatt in der Weltgeschichte umherzuziehen, wie Gott es eigentlich für sie vorgesehen hatte.
Ein Roma gehörte nicht in ein Haus, sollte nicht von erdrückenden Wänden umgeben sein, einem Gefängnis, das ihm den Himmel, den Wind, die Sonne und
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