Pfand der Leidenschaft
»Schnell wie ein Leopard. Verliert nie die Nerven und hat eine besonders sichere Hand. Welch einen vortrefflichen Pionier er abgegeben hätte!«
Nachdem er sich als Captain Swansea vorgestellt hatte – ein ehemaliges Mitglied der Royal Engineers und kürzlich aus dem Militärdienst ausgeschieden -, erläuterte er Amelia, dass er ein enthusiastischer Raketenbauer sei und in seiner nun reichlich bemessenen Zeit seiner wissenschaftlichen Arbeit nachginge. Lord Westcliff, der sein Interesse für Technik und Naturwissenschaften teilte, hatte Swansea eingeladen,
auf seinem Landgut mit seiner neu gebauten Rakete zu experimentieren, da es dort genügend Platz gab. Außerdem hatten sie Cam Rohan zur Hilfe geholt, der sie bei der Berechnung der Flugbahn und anderen mathematischen Problemen unterstützte. »Seine Begabung, was Zahlen anbelangt, ist ganz außergewöhnlich«, erklärte Swansea beeindruckt. »Auf den ersten Blick würde man das von ihm gewiss nicht erwarten.«
Amelia musste ihm zustimmen. Ihrer Erfahrung nach waren Gelehrte wie ihr Vater, die ihre Zeit über Bücher gebeugt verbrachten, blass, hatten dicke Bäuche, trugen Brillen und zerknitterte Kleidung aus Tweed. Normalerweise handelte es sich nicht um exotisch aussehende, junge Männer mit Goldringen und Tätowierungen, die wie heidnische Prinzen aussahen.
»Miss Hathaway«, sagte Lord Westcliff, »meines Wissens lebt schon seit über einem Jahrzehnt niemand mehr auf dem Ramsay Anwesen. Ich kann kaum glauben, dass das Haus bewohnbar ist.«
»Oh, es ist in einem prächtigen Zustand«, log Amelia und setzte eine fröhliche Miene auf. Ihr Stolz verbot es ihr, die Wahrheit zu sagen. »Natürlich musste erst noch kräftig Staub gewischt werden – und einige kleinere Reparaturen waren vonnöten -, aber im Großen und Ganzen ist es sehr gemütlich.«
Obwohl sie glaubte, im Brustton tiefster Überzeugung gesprochen zu haben, wirkte Westcliff skeptisch. »Wir geben heute Abend in Stony Cross Manor einen großen Empfang«, sagte er. »Ihr und Eure Familie seid herzlich eingeladen. Es ist eine ausgezeichnete Gelegenheit für Euch, einige Eurer Nachbarn kennenzulernen, eingeschlossen den Vikar.«
Ein Empfang bei Lord und Lady Westcliff. Wie schrecklich!
Wäre die Hathaway-Familie ausgeruhter, Leo schon länger nüchtern, hätten sie alle etwas Passendes zum Anziehen oder die Zeit, sich die nötigen gesellschaftlichen Umgangsformen anzueignen … hätte Amelia die Einladung womöglich angenommen. Doch wie die Dinge standen, kam das nicht infrage. »Ihr seid sehr gütig, Mylord, aber ich muss zu meinem Bedauern ablehnen. Wir sind eben erst in Hampshire angekommen, und der Großteil unserer Kleidung ist noch verpackt …«
»Es wird ganz formlos zugehen.«
Amelia bezweifelte, dass seine Definition von ›formlos‹ mit ihrer übereinstimmte. »Es ist nicht nur eine Frage der Kleidung, Mylord. Eine meiner Schwestern ist ein wenig unpässlich, und es wäre für sie zu anstrengend. Nach der langen Reise von London hierher benötigt sie sehr viel Ruhe.«
»Dann eben morgen Abend. Es wird nur eine winzige Runde sein und kein bisschen anstrengend.«
Angesichts seiner Beharrlichkeit konnte Amelia nicht ablehnen. Innerlich verfluchte sie sich, an diesem Morgen nicht zu Hause geblieben zu sein, rang sich jedoch ein liebreizendes Lächeln ab. »Vielen Dank, Mylord. Ich weiß Eure Gastfreundschaft zu schätzen.«
Da kehrte Rohan zurück, dessen Atem vor Anstrengung stoßweise ging. Schweißperlen glitzerten auf seiner Haut, die schimmernder Bronze glich. »Genau wie unsere Berechnungen vorausgesagt haben«, sagte er zu Westcliff und Swansea. »Die Lamellen haben sie tatsächlich stabilisiert, und sie ist ungefähr zweitausend Meter von hier gelandet.«
»Ausgezeichnet!«, rief Swansea. »Aber wo ist die Rakete?«
Rohan grinste breit. »In einem tiefen, sengend heißen Loch vergraben. Ich werde sie später holen.«
»Ja, wir müssen nachprüfen, in welchem Zustand sich das Gehäuse und der innere Kern befinden.« Swanseas Kopf war vor Zufriedenheit rot angelaufen. Mit einem Taschentuch tupfte er sich das dampfende, zerfurchte Gesicht ab. »Heute war ein aufregender Vormittag, nicht wahr?«
»Vielleicht ist es an der Zeit, zum Herrenhaus zurückzukehren, Swansea«, schlug Westcliff vor.
»Ja, natürlich.« Swansea verbeugte sich vor Amelia. »Es war mir eine Freude, Miss Hathaway. Und falls mir die Bemerkung gestattet ist: Ihr habt es famos weggesteckt, das Ziel
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