Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Pfarrbank. Michael hatte vom Kirchturm heruntergepinkelt. Beate machte seinen halbwüchsigen Sohn verrückt. Stefan, der Freche, hatte am hellichten Tage das Läutewerk der Glocken angestellt, so daß die Leute auf der Straße zusammenliefen und dachten, jemand sei gestorben. Mein Orgelspiel konnte er auch nicht leiden. Ich spielte viel zu schnell und vor allen Dingen immer dann, wenn er in Ruhe die Kirche putzen wollte. »Herr Wankelmann, Sie sind der netteste Mensch, den ich kenne!« sagte ich und drückte ihm einen Kuß auf die stoppelige Wange.
»Na so was!« rief er verblüfft, »das istja ganz neu! Aber bild dir nur nichts ein, dem Herrn Pfarrer sag ich’s trotzdem!« Er stapfte davon. Ich schlüpfte durch den Hintereingang ins Haus und war von derartigen Radikalkuren endgültig geheilt.
Pfarrkränze und Flötentöne, Strohsterne und Schmetterlingshöschen
»Heute nachmittag ist Pfarrkranz in der Stadt«, sagte Manfred beim Frühstück zu mir, »um zwei Uhr müssen wir losfahren.«
»Was soll ich anziehen?«
»Am besten nichts!«
Ich hätte wissen müssen, daß er auf diese Frage diese Antwort zu geben pflegte. Er gebrauchte gern schockierende Redewendungen, wenn er auch zu Tode erschrocken wäre, hätte ich ihn beim Wort genommen.
»Was hältst du für das zweitbeste?«
»Schlicht und oifach! Dann fliegen dir bestimmt alle Herzen zu.«
Auch diese Antwort entbehrte jeglicher Originalität. Daß »schlicht und oifach« eine Pfarrfrau am zweitbesten kleidet, wußte ich schon seit frühesten Kindertagen. Ich fragte nicht weiter, zog nachmittags ein braves Kleidchen über, bürstete die Haare hübsch häßlich nach hinten und stand pünktlich um 14 Uhr 30 an der Haustür, bereit zur Abfahrt. Aus dem ganzen Dekanatsbezirk strömten die Pfarrehepaare zum monatlichen Treffen ins Gemeindehaus. Man begrüßte sich und nahm an der hufeisenförmigen Tafel Platz. Die Herren setzten sich an den einen Tisch, die Damen an den anderen. Oben auf der Stirnseite thronten die Honoratioren: der Dekan, der Diözesanvereinsvorsitzende, ein paar Emeriti und der Vortragende. Manchmal saß auch die Frau Dekan neben ihrem Mann, meist jedoch mischte sie sich leutselig unters Volk, das heißt, sie setzte sich zu den Frauen. Bei diesem ersten Pfarrkranz wollte ich mich nicht von Manfred trennen. Ich blieb an seiner Seite und nahm am Männertisch Platz. Das aber hätte ich nicht tun sollen! Man betrachtete mich vorwurfsvoll. Was war denn das für eine neue Mode? Eine Frau bei ernsthaftem Männergespräch, beim Austausch pfarrherrlicher Erfahrungen? Wie ärgerlich und störend! Als ich gar noch mitreden wollte, konnte man mich wirklich nur noch aus brüderlicher Nächstenliebe ertragen.
Beim nächsten Pfarrkranz setzte ich mich zu den Frauen. Hier ging es laut und lustig zu. Man schwatzte über die vier K’s: Kinder, Küche, Kirche, Kreise und nahm mich verirrtes, aber glücklich heimgefundenes Schaf freundlich blökend in die Herde auf.
Weißbeschürzte, ältliche Wesen schenkten Kaffee ein. Bevor man jedoch den ersten Schluck tun konnte, erhob sich der Herr Dekan und sprach einige begrüßende Worte. Er setzte sich, ich griff zur Tasse. Der Herr neben mir legte milde die Hand auf meinen Arm.
»Aber, aber Verehrteste, wer wird denn so gierig sein!« Welche Verkennung der Tatsachen! Auf diesen Kaffee war ich überhaupt nicht gierig. Es schien ein »christlicher Kaffee« zu sein, dünn, ohne Aroma, ein zweifelhafter Genuß ohne Reue. Aber ich hatte angenommen, auch dieser Kaffee wäre zum Trinken da und heiß noch am besten zu genießen. Gut, ich stellte die Tasse wieder hin und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
Es kam die Andacht. Der Diözesanvereinsvorsitzende las die Losung des Tages und sprach dann solange über sie, bis der Kaffee kalt war. Dann wurden wir aufgefordert, miteinander das Lied »Nun danket all und bringet Ehr« zu singen. Wenn Pfarrer miteinander singen, dann stehen sie erst einmal alle auf. Sie heben den Blick gen Himmel, um dem Gegenüber nicht in den aufgerissenen Mund starren zu müssen und um zu zeigen, daß sie dieses Lied auswendig können, wie es sich für einen Pfarrer gehört. Sie singen aber nicht nur stehend und auswendig, sondern vor allen Dingen laut. Sie sind es gewöhnt, den Gemeindegesang anzuführen, die Verse richtig zu beginnen, das rechte Tempo anzugeben. So brüllt denn jeder, als stände er in seiner Kirche vor versammelter Gemeinde. Es war ein so gewaltiger Gesang, daß der
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