Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Ton, keine Schwierigkeiten. Man zollte uns freundlichen Beifall. Nur wenige hatten etwas von meinem Versagen gemerkt. Auch zu Hause fiel kein Wort, bis ich selber davon anfing.
»Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was passiert ist. Mir wurde auf einmal schlecht. Ich hab es bestimmt nicht mit Absicht getan!«
»Macht nichts!« sagte Mutti, »das passiert jedem einmal. Die Luft war schlecht. Nächstes Mal kannst du es besser!«
»Das nächste Mal« war bei der Weihnachtsfeier der Frauenstunde. Ich mußte alleine auftreten, denn Beate war verreist. Wir hatten die Telemannsonate viele Male geprobt, ich beherrschte sie im Traum.
»Du kannst es!« sagte Mutti, »ich habe festes Vertrauen zu dir!«
Aber ich konnte es nicht.
Schon als ich im Gemeindesaal die vielen Frauen sah, stockte mir der Atem, es dröhnte in meinen Ohren. Ich rang nach Luft und lehnte mich an die Tür.
»Komm nur!« rief Mutti vom Harmonium her.
Wie eine aufgezogene Puppe ging ich nach vom, packte die Flöte aus, drehte sie zusammen, hielt sie an die Lippen und wußte genau, daß ich sie nicht zum Klingen bringen konnte. Alle Gesichter waren uns zugewandt.
Aus weiter Ferne hörte ich die Eingangstakte, vernahm den Akkord bei dem ich einsetzen mußte und bewegte die Finger auf der stummen Flöte. Mutti stieß mich in die Seite, flüsterte mir etwas zu, spielte weiter... Eine Frau lachte, eine andere fiel ein, dann lachten alle. Nicht aus Schadenfreude, nein, sie dachten, wir führten eine Groteske auf. Jetzt hätte ich wieder spielen können, der schreckliche Bann war gebrochen, aber ich spielte nicht. Ließ die Finger weiter über die Flöte tanzen, schnitt ein gequältes Gesicht und blies die Backen auf. Mutti warf ab und zu schalkhafte Blicke zu ihren Frauen hinunter, und mimte dann wieder die verzweifelte Begleiterin eines stummen Clowns. Unsere Zuschauer schrien vor Lachen, klatschten begeistert Beifall und wollten eine Zugabe. Aber wir beide waren am Ende unserer Kraft. Wir sahen uns nicht an, als wir hinter dem Harmonium hervorkrochen und uns gravitätisch verneigten. Ich nahm meine Flöte unter den Arm, ließ die Noten fallen, bückte mich danach, verlor sie wieder und stelzte langsam aus dem Saal, umbrandet von Begeisterungsstürmen. Die »Parodie« war der Höhepunkt des Abends. Man sprach noch lange in der Gemeinde von diesem »Kabinettstückchen« .
Vor der Familie und auch voreinander hielten Mutti und ich die Fiktion aufrecht, daß wir eine Parodie hätten auffuhren wollen. Wir lachten über unseren Erfolg und waren doch beide tief bestürzt.
Lange Zeit lag die Flöte unberührt im Kasten. Man bat uns, die Parodie beim nächsten Gemeindefest zu wiederholen. Mutti lehnte ab. Sie wirke nur als Überraschung. Seitdem wurden meine Flöte und ich nicht mehr bei Gemeindeveranstaltungen benötigt.
Im Pfarrkranz hatte ich mir bald den Ruf erworben, ein besonders neugieriges Geschöpf zu sein. Die anderen Zuhörer pflegten während der Musikeinlage andächtig und ergeben den Kopf zu senken, um ungestört von optischen Eindrücken lauschen zu können. Ich aber verdrehte mir schier den Hals, bis ich das Trio oder Quartett, besonders die Solisten im Blickfeld hatte. Mochten sie Geige, Flöte oder Cello spielen, gut oder schlecht, ich mußte sie anstarren, staunend, voller Bewunderung. Sie brachten ihre Instrumente zum Klingen — trotz all der vielen Pfarrer.
Gab es keinen Grund zum Feiern im Pfarrkranz, dann folgte auf den Kaffee der Vortrag. Der Diözesanvereinsvorsitzende begrüßte den Redner und dankte ihm schon im voraus für seine Bemühungen. Er legte dar, warum ihm dieses Thema wichtig erscheine und welche Gedanken ihn dazu bewegten, und, nachdem er dies eine halbe Stunde lang getan hatte, bat er den Redner, mit seinen Ausführungen zu beginnen. Der Vortragende erhob sich, ordnete seine zahlreichen Blätter, sprach die Worte: »Die Zeit ist vorgeschritten, ich will es kurz machen«, schaute auf die Uhr, was er leider während seines Vortrages nicht mehr tat, und verbreitete sich über verschiedene Zweige der kirchlichen Arbeit: Gefangenenseelsorge, Schiffermission oder den Stand der Bekehrungen auf den Südseeinseln. Bei diesen Vorträgen bot sich reichlich Gelegenheit, pfarr-familiäre Unterwäsche in verschiedenen Verschleißphasen zu betrachten. Es war nämlich Brauch, daß die vielbeschäftigten Pfarrfrauen ihren Stopfkorb oder ihr »Stricket« mitbrachten. Eine weise Gewohnheit, denn die Vorträge entbehrten meist jeglicher
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