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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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eine Quelle nächtlichen Grausens. So schloß ich abends die Registratur ab und mied das untere Stockwerk, wenn Manfred nachts unterwegs war. Ihm durfte ich von meinen Ängsten nichts erzählen. Einmal hatte ich eine zarte Andeutung gemacht, worauf er schallend gelacht und »mach dich doch nicht lächerlich, Kind!« gesagt hatte.
    Auch die seligen Pfarrurgroßmütter hatten einiges an Schauerlichem erlebt. Ihre Geschichten gingen allerdings mehr in die Richtung der Vorahnung oder der wunderbaren, wenn auch gespenstischen Bewahrung. Ihnen waren Schutzengel in Gestalt von treuen Bernhardinern, grün-umwabert, erschienen, um sie vor Abgründen, Feuersbrünsten oder Unholden zu bewahren. Die Urgroßmütter hatten natürlich gleich gemerkt, daß solch ein grüner Bernhardiner nicht bös gemeint war, und so hatten sie denn nicht wie gewöhnliche Menschen schreiend Reißaus genommen, sondern waren frohgemut dem schrecklichen Vieh gefolgt, bis es unter Blitz und Donner entschwand und sie sich in Sicherheit befanden.
    Nach all diesen »grünen Bernhardinergeschichten« konnte ich keine rechte Freude an Hunden im allgemeinen und Bernhardinern im besonderen finden. Kam unser Bernhardiner Barry auf mich zugetappt, so kroch ich eilends unter ein Sofa oder niederes Möbel, weil er mir dorthin, wie ich wußte, nicht folgen konnte. Auch die Erzählungen meiner Mutter, wie der treue Barry beim Anblick unseres brennenden Hauses über das Gitter seines Zwingers gesprungen und unverzüglich in die Feuersbrunst getaucht sei, um uns zu suchen, konnten meine Furcht nicht vermindern. Getreu dem Vorbild seiner Mutter fürchtete sich auch unser Andreas vor Hunden. Er ging ihnen aus dem Wege, wann immer dies möglich war und flüchtete mit dem Schreckensruf »Wau, wau!« vor dem kleinsten Dackel.
    »Woher hat er nur diese Angst?« fragte Manfred und schaute mich mißbilligend an, »ich liebe Hunde und habe mich noch vor keinem gefürchtet. Schau Andreas, Hunde sind freundliche Tiere. Sie bellen nur, weil sie selber Angst haben, oder weil sie Spaß machen wollen. Sie tun dir gewiß nichts zuleide. Weißt du das jetzt?«
    »Ja«, sagte Andreas, »das weiß ich jetzt!«
    Am nächsten Tag schickte ich ihn zum Metzger. Er ging gern einkaufen und sprang vergnügt davon, der Korb wippte an seinem Arm. »Ein Pfund Leber! Ein Pfund Leber!« sang er vor sich hin. Nach langer Zeit kam er wieder, bleich und unglücklich, mit leerem Korb.
    »Gibt’s keine Leber? Hast du das Geld verloren?«
    Nein, das war nicht der Grund. Das Geld klebte noch in der kleinen verschwitzten Hand, aber vor der Tür des Metzgerladens liege ein riesengroßer Hund, er könne einfach nicht an ihm Vorbeigehen. Die Last pädagogischer Verantwortung drückte schwer auf meinen Schultern. Jetzt mußte ich dem Kind zeigen, daß man vor Hunden keine Angst zu haben braucht.
    »Ich gehe mit dir«, sagte ich und hoffte inständig, daß der Hund inzwischen verschwunden sei. »Vati hat dir ja erklärt, wie freundlich Hunde sind, und daß sie niemandem etwas zuleide tun. Du wirst es gleich sehen!«
    Andreas strahlte. »Fein, Mulchen! Wir beide, wir haben keine Angst, gelt?«
    Ich fühlte mich stark und furchtlos. Andreas hüpfte an meiner Hand. Dann bogen wir um die Ecke. Da lag der Hund vor dem Laden. Ein riesengroßer Bernhardiner.
    »Das sind besonders treue Tiere«, sagte ich mit zitternder Stimme. Zögernd bewegten wir uns vorwärts. Als der Hund den mächtigen Kopf hob und in unsere Richtung blickte, blieben wir stehen.
    »Müssen wir heut unbedingt Leber essen?« fragte Andreas, »ich mein, sie kostet ‘nen Haufen Geld und ich eß eigentlich viel lieber Pudding.«
    Wir sahen uns verschämt in die Augen, drehten um und traten den Rückweg an. Mutter und Sohn, ein geschlagenes Paar. O, wie mein Gewissen mich plagte!
    »Feigling!« sprach es, »Rabenmutter! Jetzt hast du alles verpatzt! Er hat gesehen, daß du auch Angst hast. Nie wird er seine Furcht mehr überwinden! Du hast sein Vertrauen getäuscht!«
    Ich seufzte schwer. Da packte der kleine Mann meine Hand, drückte sich an mich und sagte liebevoll: »Och Mulchen, ich mag dich so!«
    Großmama hatte sich natürlich niemals gefürchtet, weder vor Hunden noch vor Gespenstern. Das nächtliche Erlebnis des seligen Urgroßvaters war vergleichsweise harmlos gegen ihre Begegnung mit der überirdischen Welt. Als sie zu mitternächtlicher Stunde allein im Pfarrhaus saß und in der Bibel las, war ihr eine weiße Frau erschienen. Wehklagend

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