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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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an meiner Hand fest. Er schien zu glauben, wir gingen nach Hause. Plötzlich spürte ich einen Ruck und stürzte. Stefan hing mit seinem ganzen Gewicht an meiner Hand. Er war in ein tiefes Loch gefallen. Ich hielt ihn eisern fest und schrie aus Leibeskräften um Hilfe. Endlich kam ein Mann gelaufen und zog das wimmernde Bürschchen aus dem Loch. Wir lagen nebeneinander auf dem Kies. Ich dachte, Stefan wäre tot, weil er sich gar nicht mehr bewegte. Also blieb ich liegen, um auch zu sterben. Jemand zog an meiner Hand und sagte »Du mußt ihn loslassen.« Aber ich konnte die Finger nicht bewegen. Dann hörte ich ihn weinen. Tante Jakoby schimpfte, weil das Loch nicht zugedeckt worden war. Meine Hand löste sich aus der Verkrampfung und lag neben mir, als ob sie nicht zu mir gehörte. Nach ein paar Tagen kam Vati und brachte uns nach Bromberg in das neue Pfarrhaus. ^
    Beim zweiten Umzug im September 1939 benötigten wir keinen Möbelwagen. Unser Haus war abgebrannt, wir hatten nichts retten können. Deutsche Soldaten kamen in unser Versteck und fragten, wo sie uns hinbringen sollten. »Wir gehen zu Tante Frida! Gott gebe, daß sie lebt«, sagte Mutti.
    Um Tante Frida machte ich mir keine Sorge. Es war völlig unmöglich, daß sie tot war. Niemand würde sich an sie heranwagen, um soviel Schönheit zu zerstören. Tante Fridas Kopf erstrahlte stets in verblüffender Farbenpracht. Sie hatte einen leuchtend roten Mund, ein weißes Gesicht mit rosa Wangen und braune Bögen über den Augen. Ihr Haar war blitzeblau. In viele kleine Löckchen gedreht saß es auf dem Kopf wie eine phantastische Badehaube. Tante Frida sah aus wie meine Porzellanpuppe Emma-Luise. Um die Ähnlichkeit perfekt zu machen, hatte ich versucht, Emma-Luises Haare auch blau zu färben. Ich hatte alle Tintenfässer des Hauses zusammengetragen, die Tinte in eine Schüssel geleert, etwas Wasser dazugegossen und Emma-Luises Kopf hineingetaucht. Darauf bekam die blonde Puppe grüne Haare und ich einen Haufen Ärger. Die Tinte wurde vermißt, die Schüssel war nicht sauber, meine Kleidung hatte gelitten. Ich zog mich mit meiner verunstalteten Puppe ins Klo zurück, tunkte ihren grünen Kopf und meine blauen Hände ins Becken und spülte viele Male. Umsonst, wir hielten die Farbe und mußten viel Hohn und Spott ertragen. Tante Frida war die Herrin eines großen Modegeschäftes in der Theaterstraße.
    Ein Soldat trug das Kissen mit dem kleinen Christoph, ich hielt Stefan an der Hand, die zwei Großen gingen neben Mutti. So stiegen wir den Schwedenberg hinab. Auch in der Stadt brannte es. Soldaten mit Stahlhelmen Hefen umher. Die Schaufenster auf dem Wollmarkt waren eingeschlagen, die schönen Sachen daraus verschwunden. Tante Fridas Laden glich einem Schlachtfeld. Sie kniete wehklagend zwischen zerbrochenen Schaufensterpuppen und verstreuter Wäsche und war überhaupt nicht wiederzuerkennen. Ihre Haare hingen grau und strähnig herunter. Die schönen Farben ihres Gesichtes liefen ineinander und waren verschmiert. Sie trug einen Bademantel und ausgetretene Hausschuhe.
    Als sie uns sah, warf sie die Arme hoch, rollte mit den Augen und rief: »Herrjott, ich danke dir, sie leben!«
    Sie sprang in die Höhe, stürzte auf uns zu und küßte uns. Ich schielte verstohlen nach meinen Geschwistern. Tante Frida färbte ab, alle hatten wir Farbe im Gesicht.
    »O Jott, was habe ich durchjemacht!« schrie sie und rang die Hände, »es ist ein wahres Jotteswunder, daß ihr mich noch vor euch seht!«
    Sie führte uns zu der Kiste, in der sie sich versteckt hatte und zeigte, wie sie in diese Kiste hinein und wie sie wieder heraus gekommen war. Die Soldaten legten das Kissen mit dem kleinen Christoph auf den Ladentisch und gingen. Mutti sammelte Wäschestücke vom Boden und begann, das Baby neu zu wickeln. Tante Frida unterbrach die Schilderung ihrer Leiden und stürzte eilig herzu.
    »O Jott, meine Liebe, doch nicht das seidene Hemd für diese Zwecke! Ich jehe so schon am Bettelstab!« Christoph schrie, Tante Frida klagte, ich wickelte mich in einen heruntergerissenen Vorhang und schlief ein.
    Zwei Tage blieben wir im Laden und durften miterleben, wie Tante Frida zu alter Schönheit erblühte. Dann wurde uns eine Wohnung zugewiesen. Die Zimmer standen voller Möbel und in den Schränken hingen Kleider und Mäntel. Mutti weinte.
    »Frida«, sagte sie, »hier kann ich nicht leben. Es ist fremdes Eigentum. Laß uns noch ein Weilchen in deinem Laden bleiben.«
    »Es jeht nicht, meine

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