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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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geräuschvoll. So krochen wir bei trautem Kerzenschein in die Betten. Die Matratzen lagen auf dem Boden in den großen Bettkästen. Wir waren so müde, daß wir fast vergaßen, die Kerzen auszupusten.
    Nachts wachte ich auf. Es krachte, es knarrte. Es hörte sich an, als käme jemand die Treppe herauf und tappte über die Diele. Ich lag zitternd im Bett und hörte auf die unheimlichen Geräusche. Dann raffte ich alle Kraft zusammen, um die Hände zu falten. Schon als Kind, wenn ich angstschlotternd im Bett lag, hatte ich mich sicherer gefühlt, sobald die Hände gefaltet waren. Nun galt es nur noch, die Zauberformel gegen Angst und böse Geister auszusprechen: »Breit aus die Flügel beide, o Jesu meine Freude, und nimm dein Küchlein ein. Will Satan es verschlingen, so laß die Englein singen, Dies Kind soll unverletzet sein.«
    Als kleines Kind hatte ich die Macht dieses Gebetes zum ersten Mal erprobt. Im Kuschliner Pfarrgarten stand ein Pfirsichbaum direkt unter Vatis Fenster. Die Zweige hingen tief herunter, man hätte sich leicht einen Pfirsich pflücken können, wenn es nicht streng verboten gewesen wäre. Ich spielte in der Nähe mit meinen Puppen. Der Baum zog mich magisch an. Ich rückte immer näher an ihn heran, bis ich endlich mit all meinen Puppen unter seinen Zweigen saß. Ich hielt Gottesdienst. »Ihr müßt beten und dann fest glauben«, sagte ich zu den Puppen, »dann kriegt ihr alles, was ihr wollt.« Ich drückte die Augen zu, wie ich es bei den Erwachsenen gesehen hatte, glaubte ganz fest und betete, »Lieber Gott, mach doch, daß mich keiner sieht. Breit aus die Flügel beide«. Dann pflückte ich einen Pfirsich. Der große Vogel mußte tatsächlich vor Vatis Fenster gesessen haben, um mit seinen beiden Flügeln die Aussicht zu versperren. Jedenfalls erschallte kein Donnerwetter, meine Missetat blieb unbemerkt. Ich packte die Puppen und verzog mich mit ihnen in eine entfernte Ecke des Gartens. Dort genoß ich den Pfirsich und die geheime Macht, die mir dieses Zaubergebet verlieh.
    »Heute habe ich einen ganz großen Vogel gesehen«, erzählte Michael beim Abendbrot. »Ja, und die Frau Brosche sagt, er fängt ihre Kücken«, wußte Beate zu berichten. Ich duckte mich erschreckt über den Suppenteller. Himmel, wenn sie wüßten, daß es mein Vogel war!
    »Frau Brosche sagt, man muß ihn erschießen«, sagte Beate. »Ha«, rief ich, »den kriegt sie nie!« Jetzt wurde Vati aufmerksam.
    »Warum kriegt sie ihn denn nicht, Pickdewick?« fragte er. »Es ist der Herr Jesus«, flüsterte ich. Die Tischrunde saß erstarrt, dann prusteten sie los. Lacht ihr nur, dachte ich, was wißt ihr von meinem Zaubergebet!
    Dieses Mal aber brachte das Gebet keine Hilfe. Es krachte und knarrte weiter. Da beschloß ich, mich doch lieber in menschlichen Schutz zu begeben. Ich kletterte hinüber zu Manfred. »Du, hör doch, da ist wer im Haus!« Er fuhr hoch, und wir lauschten.
    »Das Holz arbeitet«, sagte er, drehte sich auf die andere Seite und schlief sofort wieder ein.
    Das Holz arbeitete weiter, unermüdlich. Sieben jahre hat es Nacht für Nacht gearbeitet. Besonders lärmend aber schien es immer dann zu arbeiten, wenn Manfred nicht zu Hause war. Für wen und für was arbeitet dieses Holz, so habe ich mich oft gefragt. Ich konnte nur einen Sinn entdecken: Es arbeitete mir zum Possen!

Predigtängste und Seelenstündchen

    Langsam wurde aus dem muffigen Pfarrhaus ein Heim. Vorhänge hingen an den Fenstern, Lampen an den Decken. Die Wände des stinkenden Klos schmückte ich mit den Photographien meiner Lieben. So waren sie mir wenigstens nahe, wenn ich an Gasvergiftung eines frühen Todes sterben würde. Der Sonntag nahte und mit ihm die Antrittspredigt. Manfred begann schon am Freitag mit den Vorbereitungen.
    »Wann machen Sie Ihre Predigt?« soll ein Dekan seinen Vikar gefragt haben. »Nun, am Samstag«, antwortete dieser. »Ich arbeite die ganze Woche an meiner Predigt«, meinte der Dekan und legte einen tadelnden Unterton in diese Worte.
    »Nun, die Gaben sind verschieden«, antwortete der Vikar in schöner Bescheidenheit.
    Mein Vater gehörte auch zu den Samstagschwerarbeitem, und diese Samstage waren eine schlimme Belastung für die ganze Familie. Wir schlichen durchs Haus und unterhielten uns nur flüsternd.
    »Pst, seid still, Vati macht seine Predigt!«
    Er blieb den ganzen Tag unsichtbar für uns, das Essen wurde ihm in seinem Zimmer serviert. Dort saß er am Schreibtisch, las Kommentare, schrieb und seufzte

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