Pfarrers Kinder Muellers Vieh
richtigen Stärkegrad zu treffen. Dieses Beffchen, das wußte ich wohl, war die Visitenkarte der Pfarrfrau. Die Gemeinde wollte ihren Pfarrer ohne Fehl in Erscheinung treten sehen. Ein schlechtgestärktes, schiefhängendes Beffchen war der Andacht nicht zuträglich und störte den Gottesdienst empfindlich.
Einmal predigte ein Pfarrer aus der Nachbargemeinde bei uns. Als er aus der Sakristei trat, zum Altar schritt und sich umdrehte, ging ein Seufzen durch die Reihen der Gläubigen. Ja, wie sah er denn aus? Wo hing das Beffchen? Sollte man den ganzen Gottesdienst lang diesen Anblick ertragen müssen? Sein Beffchen hatte einen Linksdrall und rutschte immer weiter auf die Seite. Nach der Anfangsliturgie steuerte der Pfarrer wieder der Sakristei zu. Auch die Mesnerin eilte dorthin. Als sie durch den Mittelgang lief, rief ihr eine alte Frau zu: »He Frieda! Dreh ihm auch noch den Kragen um!« Sie tat’s. — Als der Pfarrer wieder in der Kirche erschien, saß das Beffchen an der richtigen Stelle. Die Gemeinde atmete auf, der Gottesdienst war gerettet.
In feierliches Schwarz gekleidet, nur ab und zu ein buntes Tüpfelchen dazwischen, so strömten die Weidener der Kirche zu. Man wollte den neuen Pfarrer predigen hören. Manfred lachte vergnügt. »Es gibt ein volles Haus«, sagte er. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Er sollte nicht so weltlich reden, dachte ich, er sollte lieber bekümmert sein und sagen, mit Gottes Hilfe werde ich es schaffen! Wir gingen über die Straße, eine steinerne etwas wackelige Treppe zum Kirchhof hinauf, an der alten Eiche vorbei. Dann trennten sich unsere Wege. Manfred strebte der Sakristeitür zu, ich mußte durch den Haupteingang in die Kirche hinein. Am liebsten hätte ich gleich hinten irgendwo Platz genommen, aber das war natürlich undenkbar. Hier hatte jeder seinen bestimmten Platz. Auf der Empore saßen die Männer, im Kirchenschiff die verheirateten Frauen, rechts an der Seite die Jugend. Ganz vorne links befand sich die Pfarrbank. Dies alles hatte die tüchtige Mesnerin mir vorher erklärt, damit keine Panne passiere. Ich war es gewohnt, inmitten der Geschwisterschar, geführt von der kirchengewandten Mutter in das Gotteshaus einzuziehen. Nun schritt ich allein zur Pfarrbank, gefolgt von den neugierigen Blicken der Gemeinde. Die Pfarrbank war die unbequemste in der ganzen Kirche. Die Lehne war nicht als Stütze für den Rücken gedacht, sondern als Halter für die Gesangbuchauflage der Hintensitzenden. Diese Auflage stieß mich unsanft zurück, als ich mich nach einem kurzen Gebet geruhsam zurücklehnen wollte. Der Sitz war nur kurz bemessen, dafür gab es aber eine Möglichkeit zum Knien, die den Platz zwischen den Bänken noch verringerte. Ich versuchte, meine langen Beine irgendwo unterzubringen. Aber was ich auch tat, Füße auf der Kniebank, Füße unter der Kniebank, der Erfolg war unbefriedigend. Ein Gutes hatte diese Bank: Einschlafen konnte man nicht. Hoffentlich waren die anderen Bänke ähnlich konstruiert!
Das Präludium brauste auf. Noch war es mir neu, aber schon nach einem Jahr kannte ich jede Note. Das Repertoire unseres Organisten bestand nämlich nur aus drei Vorspielen. Ein feierliches in Dur für große Anlässe, Hochzeiten und Konfirmationen. Ein klagendes in Moll für traurige Ereignisse, Beerdigungen und Karfreitagsgottesdienste. Und ein sanft dudelndes Stückchen für die gewöhnlichen Sonntage. Heute hatte er das feierliche Präludium Numero eins gewählt. Der letzte Ton war verrauscht, eine Pause entstand. Sie diente dem Organisten dazu, das Choralbuch hervorzukramen, der Gemeinde wurde Gelegenheit geboten, sich von G-Dur nach C-Dur hinüberzuträumen, denn mit Kadenzen hatte der Meister nichts im Sinn. Wir sangen den Choral »All Morgen ist ganz frisch und neu...« Ich err kannte ihn kaum wieder. War dies der musikalische Muntermacher, der meine schlummernden Lebensgeister so manchen Sonntagmorgen neu erweckt hatte?
»Laß dieses Lied singen«, hatte ich zu Manfred gesagt, »es reißt sogar mich mit und das am Morgen. Die Melodie ist so fröhlich und bewegt.« Jetzt allerdings konnte von Bewegung keine Rede sein. Wir traten fast auf der Stelle, sangen im Zeitlupentempo. Der Gesang dehnte sich endlos. Beim letzten Vers kam Manfred aus der Sakristei und schritt durch den Chor dem goldenen Hochaltar zu. Der Talar wehte, das Beffchen saß an der richtigen Stelle, es war erhebend. Während der Liturgie wachten meine eingeschlafenen Füße wieder auf. Ich stand
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