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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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bequem, stieß nirgendwo an und hatte freien Blick zum Altar. Die Kanzel dagegen lag äußerst ungünstig für andächtige Pfarrfrauen. Ich mußte den Kopf nach rechts oben verdrehen, wollte ich den Prediger zu Gesicht bekommen. So schlich ich denn meistens mit steifem Hals, eingeschlafenen Füßen und schmerzendem Rücken aus der Kirche.
    Manfred stieg gemessenen Schrittes die Kanzeltreppe hinauf. Er stolperte dabei nicht über den Talar und hob ihn auch nicht übertrieben hoch. Sein stilles Gebet verrichtete er im Stehen und senkte nur den Kopf. Ich hatte Pfarrer erlebt, die auf der Kanzel niederknieten, den Kopf auf die Brüstung legten und lange in dieser Haltung verharrten. Andere wieder nahmen es mit dem stillen Gebet nicht so genau, schauten suchend über die Gemeinde hin und zählten die Häupter der Gläubigen. Manfred hatte das schöne Mittelmaß gefunden, ich sah es mit Erleichterung. Dann griff er zur Bibel. Ich erhob mich. Ich tat dies langsam und gemessen und war sicher, daß hinter mir auch alles in die Höhe gehen werde. So war ich es von zu Hause gewohnt. Man erhob sich zur Verlesung des Predigttextes. Hinter mir aber blieb es gefährlich still. Kein Bänkeknarren, kein Füßeschurren, kein Ächzen beim langsamen Hochgehen. Manfred verlas den Text, ich schielte nach hinten. O Schande! Ich stand allein auf weiter Flur ohne Rückendeckung. Die Jugend kicherte. Mein Niedergang erfolgte schnell und unfeierlich. Es dauerte lange, bis ich meine verwirrten Sinne wieder auf die Predigt und meinen Blick auf Manfred richten konnte. Das mußte mir passieren! Mir, einer so erfahrenen Kirchgängerin!
    Seit meinem fünften Lebensjahr gab es keinen Sonntag ohne Gottesdienst. Nicht, daß ich eine besonders freudige Kirchgängerin gewesen wäre, aber es bot sich keine Gelegenheit, dieser Pflicht zu entrinnen.
    »Wenn wir nicht gehen«, pflegte Mutti zu sagen, »was kann man dann von der Gemeinde erwarten!«
    Ich dachte mir triftige Gründe aus. »Mir wird schlecht.«
    »Ich kann nicht solange stehen.«
    »Heute hab ich Halsweh.« Es half nichts.
    »Ein Gottesdienst kann keinem Menschen schaden«, meinte Mutti.
    Eine Zeitlang wurde ich in der Kirche von starkem Niesreiz befallen. Ich nieste und nieste und konnte nicht aufhören. Ich vergrub meine Nase ins Taschentuch oder hielt mir die Nase zu. Die Explosion war fürchterlich. Leider kam dieser tückische Niesreiz nie während eines Liedes oder bei lautem Orgelspiel. Immer in feierlichen Augenblicken, beim stillen Gebet oder bei einer eindrücklichen Predigtstelle brach es über mich herein.
    »Mit dir ist man vielleicht blamiert!« schimpften die Geschwister.
    »Reiß dich zusammen!« sagte meine Mutter. Vati war traurig. Ich biß die Zähne zusammen, ich versuchte an etwas anderes zu denken, es half nichts. Dann kam Onkel Fritz zu Besuch. Ich liebte ihn. Er erzählte Märchen, ging mit mir spazieren und hatte immer etwas Gutes in der Tasche. »Du kannst so gut niesen«, sagte er am Sonntag vor der Kirche zu mir. »Da bin ich wirklich gespannt. Wieviel mal hintereinander bringst du’s fertig?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich kleinlaut, »Onkel Fritz, du mußt .wissen, daß es eine Schande ist.«
    »Eine Schande?« rief der Onkel, »Niesen ist eine große Erleichterung. Ich wäre froh, ich könnte öfters niesen. Du mußt mir verraten, wie man es macht.«
    »Es kommt von alleine«, sagte ich. Aber es kam nicht mehr. Ich war fest davon überzeugt, daß mich der gute Onkel von dem Zauber erlöst hatte.
    Inzwischen war Manfred bei der Beispielgeschichte angelangt. Ich drehte mich vorsichtig um, und warf einen Blick auf die Zuhörer. Sie sahen recht zufrieden aus, manche nickten sogar zustimmend. »Ja, ja so ist es. Das stimmt.« Die Predigt war kurz, was von den meisten Gemeindegliedern dankbar begrüßt wurde. Nur wenige meinten, es lohne sich gar nicht, erst in die Kirche zu kommen; sie sei ja schon aus, bevor man es sich richtig bequem gemacht habe.
    Als ich nach dem Schlußgesang die Kirche verließ, kam ich mir recht fremd und allein vor. All diese Menschen hatten nun ein Recht darauf, daß mein Mann ihnen half, ihre Sorgen hörte und Zeit für sie hatte. Was blieb für mich übrig? »Vati macht Besuche«, so hieß es früher, wenn ich von der Schule heimkam und mit ihm sprechen wollte. War er dann wieder zu Hause, und eilte ich in sein Zimmer, dann wurde ich gleich wieder verscheucht. »Frau Maier ist bei ihm. Sie hat ein Problem.« Ich hatte auch Probleme.

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