Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Abends war Bibelstunde, Männerkreis, Kirchengemeinderatssitzung. Immer gab es irgendetwas vorzubereiten. Immer kam die Gemeinde zuerst. Ich hatte es schon als kleines Mädchen mit Verdruß bemerkt. Unter dem Schreibtisch meines Vaters fühlte ich mich geborgen. Ich saß dort mit meiner Puppe wie in einer warmen Höhle. Niemand konnte eindringen, denn draußen vor dem Eingang standen Vatis Beine als treue Wächter. Ich war glücklich und zufrieden.
Leider dauerte dieses Glück immer nur kurz. Sobald es an der Haustür klingelte, mußte ich den schönen Platz verlassen.
»Los Pickdewick«, sagte Vati.
Ich kroch unter dem Schreibtisch hervor und trottete mißmutig aus dem Zimmer, die Puppe schleifte hinterher. Zuerst, als ich die Höhlung unter dem Schreibtisch für mich entdeckte, wollte ich nicht weichen, wenn Besucher kamen. Ich verkroch mich und weinte.
»Wenn du ganz still bist, darfst du bleiben«, sagte Vati, »kein Muckser! Hörst du?«
Es ging alles gut. Ich rührte mich nicht und saß still dabei, wenn über Taufen, Trauungen und Beerdigungen gesprochen wurde. Bis dann dieser Hund kam. Eine Frau hatte ihn mitgebracht. Der Hund steckte seine Schnauze durch den Spalt unter der Rückwand des Schreibtisches. Es sah furchterregend aus. Solange Vatis Beine vor dem Schreibtisch standen, konnte nichts passieren. Dann aber wurde der Stuhl zurückgeschoben, Vati stand auf, die Beine entfernten sich. Dafür erschien der Hund im Eingang. Ich schrie vor Schreck und Angst, der Hund bellte und die Dame war ärgerlich.
Seit diesem Zwischenfall mußte ich verschwinden, wenn es an der Haustür klingelte. Einmal versteckte ich mich in dem Gebüsch vor dem Haus. Als der Besucher herauskam, murmelte ich böse Worte und warf ihm einen Stein nach. Der Stein war klein, er traf auch nicht, aber ich hatte meinem Zorn Luft gemacht.
Auch Manfred hatte nach einer Weile keine Zeit mehr für mich. Es schien, als würden wir in denselben Trott verfallen, den ich schon von Kindesbeinen an gewohnt war. Zuerst die Gemeinde zu jeder Tages- und Nachtzeit, dann lange nichts und dann ich. Es war höchste Zeit, ich mußte etwas unternehmen.
Ich zog den Mantel über, ging vor die Haustür und schellte. Manfred öffnete.
»Ja, hast du denn keinen Schlüssel?« fragte er.
»Ich möchte den Herrn Pfarrer sprechen«, sagte ich, »weil ich Probleme habe, die ich mit ihm überdenken muß.« Er stutzte einen Augenblick, dann sagte er höflich: »Bitte, meine Dame, treten Sie ein.«
Er ging mir voran ins Studierzimmer. Ich klopfte erst an die offene Tür, sagte, »dann bin ich halt so frei« — auf diese Weise pflegten nämlich unsere Besucher einzutreten — und kam ins Zimmer.
»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte der Pfarrer. Er setzte sich hinter den Schreibtisch, ich davor.
»Wo drückt denn der Schuh?« fragte er.
»Mein Mann kümmert sich überhaupt nicht mehr um mich«, erwiderte ich. »Er hat für alle anderen Leute Zeit, nur nicht für mich! Morgens hält er Unterricht, mittags macht er Besuche und abends hat er irgendeine Veranstaltung. Ich sitze allein zu Hause, schufte mich ab und komme mir vor wie eine Haushälterin, die kein Geld bekommt und nicht einmal auf Familienanschluß hoffen darf! Was sagen Sie dazu?«
»Ich bin sprachlos«, sagte der Pfarrer, »was haben Sie für einen fürchterlichen Mann. Ich muß mit ihm sprechen, denn so geht das ja nicht weiter. Übrigens kann ich Ihren Mann überhaupt nicht verstehen. Wenn man eine so reizende Frau hat, müßte man Gott auf Knien danken!«
»Das ist gar nicht nötig«, riefich, »mir genügt es, wenn er mich reden läßt und zuhört, oder wenn er ab und zu mit mir ins Kino geht oder irgendwo einen Kaffee trinkt — vielleicht einmal in der Woche.«
»Es ist nicht zu fassen«, entgegnete der Pfarrer, »da gibt es soviel Gelegenheiten, eine Frau glücklich zu machen, und dieser unselige Mensch ergreift sie nicht. Übrigens, wie benimmt er sich denn nachts?«
»Nachts kann ich nicht klagen«, sagte ich, »aber vielleicht bleiben wir doch besser bei der Seele.«
»Leib und Seele gehören zusammen«, erklärte der Herr und kam hinter dem Schreibtisch hervor. Er half mir liebevoll aus dem Mantel und gab sich alle erdenkliche Mühe, mich zu trösten und zum Schweigen zu bringen. Schließlich artete das Seelenstündchen in ein Schäferstündchen aus. Ich konnte zufrieden sein, doch Zweifel nagten an meinem Herzen.
Hoffentlich gingen nicht auch andere weibliche Besucher derart
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