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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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ließ sich neben mir auf die Bank plumpsen, und er hätte noch nie in seinem Leben so gelacht. Ihm wäre nichts Menschliches fremd, das könne ich ihm glauben, aber solch eine komische Nummer, wie ich sie eben abgezogen hätte, also so etwas wäre ihm noch nicht vorgekommen. Goethe würde sich ja im Grabe umgedreht haben, wenn er mich als Gretchen erlebt hätte, aber für ihn als Schauspieldirektor sei es ein Erlebnis gewesen. »Mädchen!« prustete er, »hör auf mit der Schule! Ich engagiere dich auf der Stelle als komische Alte!«
    Diese Bemerkung verletzte mich sehr, doch verzieh ich ihm seine Verblendung, da er offensichtlich ernste Absichten mit mir hatte. Ob ich ihm vielleicht noch den Prolog der Johanna aus der Jungfrau von Orleans vorsprechen solle, fragte ich. Dieser Prolog war mein dramatisches Glanzstück. Ich hoffte, den Direktor zu bekehren und ihm meine wahre Begabung zu zeigen. Ja, sagte er, ihm täte zwar jetzt schon alles weh vom Lachen, aber er würde den Prolog wohl noch überstehen. Ich schloß die Augen, um mich zu sammeln und legte los. Das Gesicht meines Zuhörers wurde immer röter. Erst schien er noch ergriffen, dann aber schlug er sich auf die Schenkel, prustete und quietschte. Bei dem gewaltigen Finale...

    »Den Feldruf hör ich mächtig zu mir dringen,
    Das Schlachtroß steigt, und die Trompeten klingen!«

    vergaß er sich soweit, daß er unsere altjüngferliche Deutschlehrerin an sich riß und ihr einen Kuß gegeben hätte, wäre sie nicht schreiend entwichen. Er faßte sich wieder und sagte, ich solle ihn so bald wie möglich in seinem Büro aufsuchen. Mir wurde schwindlig vor Glück. War ich erst einmal beim Theater, dann würde ich bald vom komischen in das tragische Fach überwechseln. Doch stand mir erst ein Kampf mit meinem Vater bevor, der andere Pläne mit mir hatte. Zwei Tage lang wüteten wir gegeneinander. Dann wechselte er die Taktik und wurde betrübt. Seinem Zorn war ich gewachsen, seiner Traurigkeit nicht. Die Theaterpläne wurden begraben.
    Bei Aufführungen in Schule und Gemeinde vertraute man mir künftig nur noch komische Rollen an. Ich spielte sie ungern, aber mit Erfolg.
    Die großen, tragischen Rollen bekam Beate. Sie war klein und zart, hatte ein Gesicht wie eine Madonna und eine sanfte Stimme. Zuckte ein wehes Lächeln über ihre Züge, dann ging ein Schluchzen durch die Menge. Tat ich dasselbe, dann brüllten die Zuschauer vor Vergnügen.

Krippenspiele — mit und ohne Brille

    Besonders schmerzhaft wurde mir der schwesterliche Gegensatz beim Krippenspiel bewußt. Mutti hatte es selber verfaßt und übte es alljährlich zu Weihnachten ein. Da gab es haufenweise Engel, Hirten und Volk, aber nur eine Maria, und diese Maria darstellen zu dürfen, war der Traum meiner schlaflosen Nächte. Es war keine große Rolle. Maria spielte nicht und sprach nicht, sie sang und sah schön aus. Also bekam Beate die ersehnte Rolle. Sie kniete im blauen Gewand vor der Krippe, wurde von allen Seiten zart angeleuchtet und war unbeschreiblich schön. Ich lehnte als Verkündigungsengel an einem Pfeiler, schielte neidisch durch meine Brille zu dem trauten Bild hinüber und dachte, daß sich der liebe Gott mit meiner äußeren Gestaltung ruhig etwas mehr Mühe hätte geben können.
    Die Schwierigkeit der Marienrolle bestand nun darin, daß die Darstellerin zugleich schön aussehen und auch gut singen mußte. Doch waren beide Vorzüge selten in einer Person vereint. Es ging nur um ein einziges Lied »Schlaf wohl, du Himmelsknäblein du, schlaf wohl du süßes Kind...« Kein schwieriges Lied, ich konnte es schön und innig singen. Beate aber, wohl um ihrer Stimme mehr Volumen zu geben, veränderte beim Singen die Vokale und gebrauchte nur solche, die ihr besonders rund und voll gelangen. Das waren die Vokale o und q. Sie sang: »Schlof wohl, do Hömmölsknöblein do, schlof wohl do sößes Könd...«
    So gesungen, brachte das Lied nicht die erhoffte Wirkung bei den Zuhörern hervor. Meine Mutter beschloß, im nächsten Jahr mich als Maria zu verwenden.
    Auch ich besaß nur eine der beiden Eignungen für diese Rolle. Ich konnte singen. Mit dem Aussehen stand es schlecht. Mutti aber gedachte mit Hilfe von Schminke, schöner Gewandung und mildem Licht hier einiges zum Guten zu wenden. Ein besonderes Ärgernis war jedoch die Brille.
    Diese Brille hatte mich nur wenige Stunden glücklich gemacht. Solange nämlich, bis meine Geschwister und Klassenkameraden sie auf meiner Nase sahen.

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