Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Wasser, an den er gestoßen war, und wollte ihn unbedingt über den glühenden Herd gießen. Manfred hielt ihn von hinten fest.
»Herr Stetig!« rief er mit lauter Stimme, um das Pestgeschrei im Radio zu übertönen, »Herr Stetig, es ist nichts! Wir baden nur!«
Nun war der Kirchenpfleger ein beherrschter und humorvoller Mann. Sein einziger Kommentar lautete: »Was denn? Am Mondichmorge?« Dann putzte er seine Brille, schaute noch einmal sorglich um sich, ob auch alles stimme und verschwand aus der Küche. Er sammelte Opferbüchsen und Kassenbücher aus dem Schnee und begab sich ins Amtszimmer, wohin ihm Manfred nach kurzer Zeit folgte. Die Begebenheit war mir etwas peinlich, aber ich hörte die Herren so laut lachen, daß meine Besorgnis verflog. Seitdem zwinkerte mir Herr Stetig hin und wieder zu und fragte: »Kenne mer am Mondich Opfer zähle, oder dent er bade?«
Das Wasser in der Küche fror uns nicht mehr ein. Wir umwickelten die Röhre kunstvoll mit Mullbinden und ließen das Feuer im Herd nicht mehr ausgehen.
Eines kalten Wintertages aber staute sich das Wasser im Ausguß, es lief nicht mehr ab.
Manfred machte sich schimpfend daran, den Siphon zu reinigen, eine Arbeit, die bei uns öfters anfiel. Aber siehe da, der Siphon war nicht verstopft! Es fanden sich weder Gemüsereste noch Kirschkerne darin. Auch hatten keine langen Frauenhaare das Malheur verschuldet.
Das Abflußrohr an der äußeren Hauswand war zugefroren. Mit heißem Wasser und Mullbinden war da leider nichts zu machen.
Der Klempner kam mit dem Schweißbrenner und einer langen Leiter. Er war schlechter Laune, weil — wie er sagte — alle zugefrorenen Rohre des Dorfes auf seinen schwachen Schultern lägen, und er sie gar nicht so schnell auftauen könne, wie sie wieder zufrören. Zum Essen käme er überhaupt nicht mehr. Zum Trinken aber hatte es offensichtlich gereicht, denn er schwankte so bedrohlich auf der Leiter, daß man das Schlimmste befurchten mußte. Wir wollten die Leiter unten festhalten, aber das kränkte ihn in seiner Berufsehre.
»Lents!« rief er herunter, »i kas alloi!« Erst nach vielen Bemühungen, begleitet von Knurren und Fluchen, gelang es dem Meister, das Rohr aufzutauen und von der Leiter zu klettern.
Von da an goß ich mehrere Male am Tag heißes Wasser ins Klo. Auch dieses Abflußrohr ging an der äußeren Hauswand entlang. Es durfte auf keinen Fall einfrieren, denn dies, so ahnte ich, würde den Höhepunkt der winterlichen Schrecknisse bedeuten. Dank meiner Umsicht blieb uns wenigstens dieses Ärgernis erspart.
Aber der Winter brachte uns nicht nur Kälte und böse Überraschungen. Er brachte auch das Weihnachtsfest und mit ihm die Gelegenheit, ein Krippenspiel einzuüben. Endlich konnte ich meine Begabung einsetzen, die Dorfbewohner und mich selbst zu beglücken. Theaterspielen war schon als Kind für mich das höchste Vergnügen.
»Ach Pickdewick, dich erkennt man gleich«, sagte Beate, als ich mich im Gewand einer Prinzessin vor ihr zeigte, »du müßtest dein Gesicht auch verkleiden!«
Als junges Mädchen hatten es mir die tragischen Frauenrollen angetan. Medea, Penthesilea, Maria Stuart und Jeanne d’Arc, ich spielte sie mit solcher Hingabe, daß die Zuschauer vor Lachen schier von den Bänken fielen. Das verletzte mich sehr. Ich verstand nicht, warum das dumme Volk so lachte, wenn mir vor Rührung die Tränen über das Gesicht liefen. Jetzt, in reiferem Alter, kann ich mir ungefähr vorstellen, wie ich damals als Tragödin gewirkt haben muß. Dürr wie eine Bohnenstange, ohne jede ansprechende Rundung, auf der Nase die Brille in ewig rutschender Bewegung.
Bei einer Schüleraufführung des Urfaust durfte ich das Gretchen spielen. Die Deutschlehrerin hatte ein besonderes Faible für mich, weil sie meine Aufsätze am besten entziffern konnte.
Ich ging so völlig in meiner Rolle auf, daß ich gar nicht merkte, wie das Publikum sich amüsierte. Nach Schluß der Vorstellung gingen die Zuschauer nicht, wie ich gehofft hatte, still und ergriffen aus der Turnhalle. Sie klatschten wie die Wilden, und ich mußte mich viele Male verneigen. Dies tat ich mit großer Anmut, denn nach jeder Verneigung schwoll das Gelächter erneut an. Schließlich war mir ganz schwindlig, und ich setzte mich erschöpft in die Garderobe. Die Tür öffnete sich, ein rundlicher Herr kam herein, das Gesicht von Tränen naß. Er gluckste und kicherte, albern wie ein Backfisch. Er sei der Direktor des Schauspielhauses, keuchte er und
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