Pfarrers Kinder Muellers Vieh
knirschte mein Freund und Helfer, »ich will ins Bett!«
Wie oft fiel eines der Schälchen bei dieser Prozedur auf den Boden! Sofort erstarrten wir beide zu Salzsäulen. Dann ließ Manfred sich vorsichtig auf den Boden nieder, um zu suchen. Ich stand bewegungslos, denn mit einem unbedachten Schritt hätte ich das kleine, ach so teure Schälchen zertreten können. Welche Freude, wenn er es endlich gefunden hatte. In den Fugen des Parketts oder zwischen den Kissen der Couch oder im Küchenausguß. Das war eipe besonders schreckliche Operation, weil man dazu den Siphon abschrauben und sauber machen mußte. Da gab es viel Unerfreuliches zu durch wühlen, bis endlich das Schälchen zum Vorschein kam. Doch ich dachte an die Frau, die ihren Goldzahn verschluckte und noch viel mehr Ärger hatte, bis sie ihn wieder einsetzen lassen konnte. Dies sagte ich auch zu Manfred, während er brummend im Siphon wühlte, doch wurde er davon nicht fröhlicher.
Eines Morgens waren wir beide ganz verzweifelt, weil ein Schälchen verschwunden war. Manfred behauptete zwar, er hätte mir beide eingesetzt, aber ich konnte nur auf einem Auge sehen. Wir suchten und suchten. Der Boden schien das kleine Ding verschluckt zu haben. Seltsamerweise tränte mein sehendes Auge und kratzte unerträglich. Die Kontaktschale mußte wieder entfernt werden. Und siehe da, beide Schälchen hatten auf einem Auge gesessen.
In diesem Winter fuhren wir oft zu dem Kontaktschalenhersteller ins Städtchen. Der Herr war ein Verdiverehrer. Wann immer wir auch kamen, immer drehte sich eine Verdi-Opernplatte auf dem Plattenteller.
»Nehmen Sie Platz, gnädige Frau«, sagte der Herr, »diese Arie liebe ich besonders. Das linke Auge weit auf, bitte!« Er setzte mir eine neue Schale ein und sang dabei: »Oft spielt ein Lähächeln um ihre Zühüge... Hände weg von den Augen! Oft fließen Tränen... Ja wieso tränt es denn wieder? Sie haben ganz besonders empfindliche Augen, gnädige Frau, oder weinen Sie wegen der herrlichen Musik?« Nach drei Wochen Kopfweh, Tränen und eiserner Entschlossenheit hatte ich mich an den Fremdkörper im Auge gewöhnt. Nun konnte ich endgültig die ungeliebte Brille im Futteral begraben.
Dieser erste kalte Winter in Weiden brachte auch die erste schwere Prüfung für unsere junge Ehe. Im Sommer waren wir gekommen, hatten das Haus eingerichtet und wohnlich gemacht, hatten für dreizehn Fenster Vorhänge gekauft und den Garten gerodet. Im Herbst gefiel es der Weisheit des Oberkirchenrats, den Pfarrverweser Manfred Müller zu versetzen. Ich schrie Zeterundmordio. Ich wollte nicht schon wieder umziehen, mich an einen neuen Geruch gewöhnen und in einer anderen Gemeinde anfangen. Mir wurde übel. Ich spuckte von morgens bis abends. Die Mesnerin meinte: »Des wird gwieß a Mädle, bei Buba isch’s oim net so schlecht.«
Ob Bub oder Mädchen, als der Bescheid des Oberkirchenrates kam, wollte das kleine Wesen in mir nicht mehr dulden, daß ich irgendwelche Nahrung bei mir behielt. Leise klagend strich ich durch die Räume. Da fuhr Manfred nach Stuttgart, um vor seiner obersten Behörde vorstellig zu werden. Er schilderte in beredten Worten das Elend zu Hause, was die Behörde kalt ließ. Dann berichtete er über die Gemeindearbeit, die Kreise und Bibelstunden und all das, was er bereits im Segen zu tun begonnen, und die Behörde hatte ein Einsehen und beließ uns an dem bisherigen Ort unseres Wirkens. Ich jubelte und hörte auf zu spucken. Wir hatten die Schlacht gewonnen. Ein anderer Pfarrer zog in die für uns bestimmte Gemeinde. Nach ein paar Wochen wurden wir zu einer Besichtigung in das neuerbaute Pfarrhaus eingeladen. Wir gingen durch Zimmer mit Zentralheizung. Wir sahen ein gut eingerichtetes Bad und ein WC. Ich brach schier zusammen. All diese Pracht wäre unser gewesen, hätte ich sie nicht für Ratten und Fledermäuse dahingegeben! Ich allein war schuld! Die Folgen der eigenen Dummheit sind besonders schwer zu ertragen. Damals nahm ich mir vor, den Weisungen des Oberkirchenrates treulich Folge zu leisten, wohin sie auch immer fuhren sollten. In diesem Vorsatz bin ich inzwischen aber wieder schwankend geworden.
Ich hielt mich nachträglich an den Grundsatz meines Vaters: »Der schwerste Weg ist der richtige«. Wir waren den schwereren Weg gegangen, auch wenn wir das eigentlich nicht vorgehabt hatten. Dies hielt mich einigermaßen aufrecht, als der schreckliche Winter hereinbrach und unser Haus jeden Tag eine neue unerfreuliche
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