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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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geschenkt worden. Auch stand er schwankend auf und erbot sich, das Wort auszulegen. Manchmal gelang es Vati, ihm zuvorzukommen und schnell das Schlußgebet zu sprechen. Zögerte er aber einen Augenblick, dann legte Bruder Melbusch los und pries die Schöpfung des Herrn in lauten Tönen. Er rülpste und lallte, weinte und lachte. Viel war nicht zu verstehen, aber wir saßen fasziniert da, bis er eine Pause machte, um Luft zu schöpfen. In diese Pause hinein sagte Vati: »Lasset uns beten!« Bruder Melbusch war nicht gekränkt. Er betete besonders laut und innig und manchmal plumpste er sogar auf die Knie dabei.
    Als ich im Pfingstgottesdienst von den Aposteln hörte, die »in Zungen« geredet hätten, worauf die Ungläubigen dachten, sie wären trunken, fiel mir sogleich Bruder Melbusch ein und sein unverständlich trunkenes und doch so begeistertes Lob Gottes.
    Durch seine Trunkenheit hat er sogar dem Tod ein Schnippchen geschlagen. Als die Polen ihn bei dem Aufstand 1939 suchten, war er nirgends zu finden. Er lag volltrunken zwischen unseren Stachelbeerbüschen. Der Brand unseres Hauses weckte ihn auf. Er traute seinen Augen nicht, meinte, das Jüngste Gericht seihereingebrochen, beschloß dann, mit seiner Fahne der Nase des Herrn noch ein Weilchen fernzubleiben, legte sich zurück, schlief wieder ein und torkelte nach Hause, als Weib und Kind bereits seine Ermordung beklagten.
    Eine Zeitlang saß im Stübchen neben der Küche ein zartes Fräulein. Sie stopfte Strümpfe oder ratterte auf der Nähmaschine, und sie hieß Fräulein Martha. Ich liebte diese sanfte Näherin. Sie lächelte freundlich, wenn man hereinkam, hatte weiche, weiße Hände und eine wohllautende Stimme. Sooft ich nur konnte, schlich ich in das Nähzimmer und hockte mich neben Martha auf den Boden. Dann erzählte sie Geschichten oder sang traurige Lieder. Damals erkannte ich die Schönheit des Chorals »Ich bete an die Macht der Liebe...« Wenn ich mir bei der Abendandacht ein Lied wünschen durfte, war es immer dieses. Was »die Macht der Liebe« sei, war mir damals noch nicht klar. Ich meinte, die Großen sängen falsch. Für mich hieß der Text: »Ich bete an die Martha liebe...« Daß auch der Herr Jesus in diesem Lied vorkam, nahm ich als Selbstverständlichkeit hin. Jede Geschichte, die Martha erzählte, handelte ja von ihm. So sang ich denn mit viel Gefühl und tiefem Einverständnis, denn ich betete sie wirklich an, die liebe Martha. Als sie heiratete, sollte ich vor dem Brautpaar hergehen und Blumen streuen. Aber am Hochzeitstag war ich krank, hatte Bauchweh und Fieber und lag im Bett. Sie besuchten mich in meinem Zimmer. Der Bräutigam hatte den Arm um sie gelegt, er war häßlich und dick. Ich drehte mich zur Wand.

    Mit Marie-Antoinette war ich nicht so innig verbunden, obwohl wir viele gemeinsame Interessen hatten. Genau wie ich liebte sie es, lange zu schlafen, Klavier zu spielen und Mittelpunkt bei Gesellschaften zu sein. Sogar für meinen Mann zeigte sie eine besondere Vorliebe. Sie warf ihm verliebte Blicke zu, was ich auch getan hätte, wenn ich nicht schon seine Frau gewesen wäre. So war ihres Bleibens in unserem schlichten deutschen Haushalt nicht länger. Sie schied vergnügt nach einigen Wochen erholsamen Urlaubs auf dem Lande. Mich ließ sie als Nervenbündel und Pulverfaß zurück. Erst als sie auf dem Weg zu ihrer gar nicht erfreuten Tante war, kam es bei uns im Pfarrhaus zu der schon lange fälligen Explosion. Manfred setzte das Pulverfaß selbst in Brand. Er tat dies unbekümmert und ohne die geringste Ahnung von all dem aufgestauten Zündstoff. »Es ist schön, daß wir nun wieder alleine sind«, sagte ich und machte eine Pause, damit er freudig zustimmen könne. Er schwieg. »Diese Marie-Antoinette war ein schwieriger Mensch«, fing ich wieder an, »ihr Charakter ließ viel zu wünschen übrig. Findest du nicht auch?«
    »Nun ja«, sagte er, »vielleicht ließ ihr Charakter zu wünschen übrig, aber sonst hatte sie doch einiges zu bieten. Ich meine, ihre äußere Erscheinung war durchaus erfreulich.«
    Er lachte genüßlich und malte mit den Händen ihre ansprechenden Kurven in die Luft.
    Das war zuviel. Ich schimpfte auf englisch, fluchte auf polnisch und weinte auf deutsch. Es war ein so lautstarker Ausbruch, daß die Mesnerin ihren Schürhaken ergriff und eilig herübergelaufen kam, weil sie meinte, wir seien in die Hände fremdländischer Banditen gefallen.

    Die zweite Haustochter hieß Helene. Sie war das genaue

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