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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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beherzigt.
    Genias Fluchen war schön und schrecklich anzuhören. Weh aber dem Unglücklichen, den sie ohne triftige Gründe in der Küche erwischte! Sie riß ihn an den Haaren oder schlug ihm ein nasses Handtuch um die Ohren, daß es nur so klatschte, und wir draußen vor dem Fenster schaudernd zusammenkrochen.
    Ob es nun polnische oder deutsche Mädchen waren, uns Kindern erschienen sie alle barsch und gefährlich. Vor meiner Mutter aber machten sie die schönsten Knickse, verdrehten fromm die Augen und lasen ihr jeden Wunsch vom Gesicht ab. Wenn Mutti Kopfweh hatte, und das war oft der Fall, ging es uns auch schlecht.
    »Ihr verdammtes Kroppzeug!« schrie Genia, »da sitzt die Pastorka ins Zimmer und brummt ihr der Kopf, und ihr macht Radau. Wart nur, ich dreh euch den Kragen um! Bande elendigliche!« Ihr war alles zuzutrauen, wir verkrochen uns eilig.
    Bei dem Polenaufstand 1939 aber wurde sie zu unserem Schutzengel. Sie versteckte uns bei ihrer polnischen Familie, was gefährlich für sie war, uns aber das Leben rettete. Wie meine Mutter es fertiggebracht hat, diesen Mädchen Kochen und Haushaltsführung beizubringen, ist mir schleierhaft. Sie hatte von diesen Künsten ja keine Ahnung. Jedenfalls waren alle Mädchen wohlausgebildete Hausfrauen, wenn sie weinend von uns Abschied nahmen, um zu heiraten. Ich vermute, sie waren es vorher schon. Vielleicht spielten die Gutsffauen der Umgebung ihrer unerfahrenen Pfarrfrau nur angelernte Kräfte zu.
    Im Pfarrgarten von Kuschlin arbeitete Mutter Wiesche. Sie ging so tief gebückt, daß manjederzeit damit rechnen mußte, ihren zahnlosen Mund aus der Staudenrabatte, wo sie Unkraut jätete, grinsen zu sehen. Manchmal kam sie morgens mit einem zugedeckten Korb ins Haus und stellte ihn in der Küche auf den Tisch. Mutti wurde geholt, und unter ihrem Schutz wagten auch wir uns in das verbotene Paradies. Sie hob das weiß e Tuch vom Korb und wir bestaunten die verkrumpelten braunen Kugeln, die darin lagen. Es waren Morcheln, die Mutter Wiesche gesammelt hatte. Sie bekam Geld und wir die Morcheln. Beim Mittagessen schnupperten alle Erwachsenen verzückt und taten so begeistert, als hätten sie etwas überaus Köstliches zwischen den Zähnen. Ich aber biß dauernd auf Sand, und wenn er zwischen meinen Zähnen knirschte, lief mir eine Gänsehaut über den Rücken. Mutter Wiesche war auch zu uns Kindern freundlich. Jeden Morgen kramte sie in ihrer Schürzentasche und brachte zerdrückte Mohrenköpfe und klebrige Bonbons zum Vorschein. Wir versuchten, sie möglichst oft zum Lachen zu bringen, um dann mit freudigem Grausen in ihren aufgesperrten zahnlosen Mund zu starren. Nur Hühner, die sich in unseren Garten verliefen, verfolgte sie mit grimmigem Zorn. Sie rannte hinter den verhaßten Tieren her, jagte sie mit schrillen Schreien bis zum Zaun, manchmal sogar noch weiter und brachte dadurch einmal einen Hochzeitszug in arge Bedrängnis.
    Dieser Hochzeitszug stand wartend vor dem Kirchentor, um beim ersten brausenden Orgelton seinen feierlichen Einzug zu halten. Da rannten ein paar Hühner ängstlich gackernd aus dem Pfarrgarten, und hinter ihnen mit hocherhobenem Stecken jagte Mutter Wiesche her. In ihren Augen flackerte Mordlust. Sie zischte und spuckte vor Wut. Der Hochzeitszug stob auseinander, die verfolgten Hühner suchten in der Kirche Schutz. Mutter Wiesche aber war nicht gewillt, sie entkommen zu lassen. Sie erschien im Portal des Gotteshauses, die Orgel brauste auf. Der hochgeschwungene Stecken verfing sich im Schleier der Braut. Die hielt beide Hände auf den Kopf gepreßt und rannte notgedrungen hinter Mutter Wiesche und ihrem Schleier her. Ihr folgte der Bräutigam. Auch die Hochzeitsgäste drängten in die Kirche hinein, teils aus Neugier, teils aus Jagdlust. Die Hühner flatterten in die Höhe und suchten auf der Kanzel Schutz. Da erschien mein Vater in der Sakristeitür. Er versperrte der zornigen alten Frau den Weg zur Kanzel. »Aber Mutter Wiesche!« sagte er mit sanftem Tadel, »wir sind im Gotteshaus!« Zerknirscht ließ sie den
    Stock fallen, worauf Schleier und Myrtenkranz vollends vom Haupt der Braut gerissen wurden. Dies hielten einige Gemeindeglieder für einen deutlichen Hinweis, daß sich der Herr nicht spotten lasse und daß einer Braut, deren Hochzeitskleid schon so deutlich über dem Bauch spanne, kein Schleier noch Myrtenkranz mehr gebühre.
    Inzwischen hatte sich der Kirchendiener die Kanzeltreppe hinaufgeschlichen. Eines der flüchtigen Hühner

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