Pfarrers Kinder Muellers Vieh
die Dauer zu anstrengend wurde, versah ich mein Hauswesen allein.
Großmutters Raupe und Genovevas Haar
Alles wollte ich werden: Missionarin, Schauspielerin, Juristin, aber ganz gewiß keine Pfarrfrau! Vom Pfarrleben hatte ich genug abbekommen:
Was werden die Leute denken, wenn du dieses Kleid anziehst?
Was wird die Gemeinde sagen, wenn du zur Tanzstunde gehst?
Du mußt in den Kirchenchor, in die Bibelstunde, in den Mädchenkreis! Sei freundlich zu den Leuten!
Herr Müller sagt, Vati ist nicht bekehrt...
Frau Maier sagt, Muttis Frauenstunden sind nicht mehr so gut wie früher.
Fräulein Schmid sagt, wir sind nicht fromm genug... Vati hat keine Zeit! Mutti hat keine Zeit!
Wird die Predigt fertig? Wird sie den Leuten gefallen?
Wird Vati den Gottesdienst durchhalten? Werden Leute in die Kirche kommen?
Seid still, Mutti hat heute abend Frauenstunde!
Stellt das Radio ab, heute ist Kirchengemeinderatssitzung! Geht ans Telefon. Macht die Türe auf!
In drei Wochen ist Bazar, ihr helft doch mit?
Spielst du bei der Hochzeit die Orgel?
Machst du ein Gedicht für den Gemeindeabend?
Am Sonntag ist Mädchentreffen, da kannst du nicht zum Schulausflug!
Leider können wir nicht zu deiner Abitursfeier kommen, der Männerkreis hat Jubiläumsfest, wir müssen dabei sein. Vati sollte mehr Besuche machen, die Leute beschweren sich.
Der Kindergarten ist zu klein, ein neuer muß gebaut werden! Der Kirchengemeinderat hat bestimmt, daß die Kirche renoviert wird!
Vati lacht nicht, er ist müde, er muß auf den Bauplatz, er hat Ärger.
Kommt schnell nach Hause, Vati hat einen Herzinfarkt!
Nein, alles, bloß keine Pfarrfrau!
Dann lernte ich den Theologiestudenten Manfred Müller kennen und liebte ihn, bevor mir aufging, daß er mich zur Pfarrfrau machen würde. Also schob ich die bösen Erinnerungen beiseite und beschloß, daß bei uns alles anders werden sollte. Das Ganze war im Grunde nur eine Frage der Generation!
Auf Wunsch des Oberkirchenrates fuhr ich zu einer Pfarrbräuterüstzeit. Bis zum Hals gefüllt mit hohen Idealen und guten Vorsätzen kam ich wieder zurück:
Eine Pfarrfrau muß großzügig sein!
Sie freut sich über jeden Besucher!
Schmutzige Schuhe nimmt sie nicht zur Kenntnis!
Bei Telefonaten zur Mittagszeit oder in der Nacht meckert sie nicht, sondern holt flugs den Ehemann herbei!
Eine Pfarrfrau muß zuhören können, auch wenn ihr in der Küche das Essen verbrennt!
Eine Pfarrfrau ist immer freundlich!!!
Eigentlich hätte ich eine gute Pfarrfrau werden müssen, denn eine lange Reihe von Pfarrfrauen, mütter- und väterlicherseits, marschierte mir voran. Alle waren sie besonders begnadete Menschen gewesen. Mütter ihrer Gemeinden, Stützen ihrer Pfarrherren, Muster an Opferbereitschaft und Frömmigkeit. Eine, die selige Pauline Wettstein, führte sogar den Spruch im Wappen: »Ich nütze mich ab, um zu nützen« . Eine wunderbare Frau! Es war viel von ihr die Rede in meinem Elternhaus. Früher hatte sie »von Wettstein« geheißen, aber, des weltlichen Tandes satt, vermochte sie ihren Mann zu bewegen, das eitle »von« aus seinem Namen zu streichen. Diese Tat trug ihr viel Ehre ein.
In meinem Schmuckkästchen liegt noch heute die sagenumwobene »Raupenbrosche« der Großmutter Lina-Maria. Nicht, daß ich diese Brosche, uralt und granatenverziert, jemals getragen hätte. Sie gefiel mir ebenso wenig wie Großmutter Lina-Maria. Doch war sie das strahlende Zeichen der Selbstüberwindung dieser trefflichen Frau. Selten verging eine Gesellschaft in meinem Elternhaus, ohne daß die Brosche hervorgeholt und herumgereicht wurde. Man streichelte sie ehrfürchtig. Während die Reliquie von Hand zu Hand ging, erzählte ein Eingeweihter die Legende von »Großmutters Raupe«.
Da war sie also in Mannheim bei Hofe eingeladen, Lina-Maria, die Frau des würdigen Hofpfarrers. Mit illustren Gästen saß sie an fürstlicher Tafel. Lakaien servierten die Speisen, und der heben Großmama spendierten sie als Beigabe eine Raupe. Entsetzt starrte die Gastgeberin auf Großmamas Teller. Dort lag das Tier, benommen von Öl und Essig, im Salat. An dieser Stelle ergingen sich die Erzähler in phantasievollen Beschreibungen. Sie schilderten die abstoßende Häßlichkeit der Raupe: grün, dick, behaart, oder sie ließen sie aus der Ohnmacht erwachen und mit schlängelnden Bewegungen durch den Salat kriechen. Sie berichteten von Großmamas innerem Kampf, aufsteigendem Ekel und einem Stoßgebet. Alle Erzähler aber waren
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