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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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konnte er packen, das andere flog, wild gackernd, von der Kanzel herab, ließ in seiner Angst einen Klecks auf das wohlfrisierte Haupt der Brautmutter fallen und floh zur Kirche hinaus. Auch Mutter Wiesche schlich davon, klein und tief zu Boden gedrückt. Die Braut packte ihren Schleier und stülpte ihn wieder auf den Kopf. Die Brautmutter versuchte vergeblich, die stinkende Bescherung von ihrem Haupte zu schütteln. Der Hochzeitszug ordnete sich, und die feierliche Handlung konnte beginnen. Allerdings hatte der Bräutigam durch diese Geschehnisse einen solchen Schock erlitten, daß er, befragt, ob er diejungfrau Auguste Müller zum Weibe nehmen wolle, mit »Nein« antwortete. Ein erstaunter Blick des Pfarrers und ein scharfer Knuff seiner Verlobten brachten ihn aber wieder soweit zur Räson, daß er sich räusperte, tief aufseufzte und sagte: »Doch, ja, ich tu’s!« Im Dorf sprach man noch lange über die absonderliche Hochzeitsfeier; dies besonders, nachdem die junge Ehefrau nach fünf Monaten eine Frühgeburt erlitt und einem neun Pfund schweren wohlausgereiften Knäblein das Leben schenkte.
    Nach diesem Vorfall kam Mutter Wiesche im schwarzen Sonntagsstaat zu meiner Mutter und bat um Verzeihung. Sie nuschelte, daß sie sich habe hinreißen lassen zu unchristlichem Zorn wegen dieser verdammten Satansbraten, daß sie aber nun ein neuer Mensch werden wolle. Sie bäte die Frau Pfarrer, doch bei dem Herrn Pfarrer ein gutes Wort für sie einzulegen, unter dessen Augen sie sich sonst nie mehr trauen werde. Mutti versprach ihr all dies und fugte noch einige wohltuende Worte hinzu, worauf Mutter Wiesche ihr dankbar die Hand küßte und am nächsten Tag einen Korb mit Blaubeeren brachte. Sie zierte sich lange, ehe sie das Geld dafür nahm.
    Nach ein paar Wochen aber war sie gottlob wieder die alte und jagte wie eh und je hinter den Hühnern her.
    Als wir Kuschlin verließen, nahm Mutter Wiesche nuschelnd und weinend von uns Abschied. Sie drückte mich so heftig an ihre harte Brust, daß ich vor Angst in Tränen ausbrach. Erst das Versprechen, daß wir beide in der Küche Kaffee und Kuchen bekämen, ließ unsere Tränen versiegen. Nicht, daß ich besonders scharf auf Kaffee und Kuchen gewesen wäre, aber die Vorstellung, zusammen mit Mutter Wiesche am Küchentisch zu sitzen und eintunken und schlürfen zu dürfen wie sie, konnte jeden Schmerz lindern.
    In Bromberg besorgte Bruder Melbusch unseren Garten. Gegen ihn war Mutter Wiesche ein wahrer Engel an Sanftmut und Geduld. Bruder Melbusch war ein Trinker und gehörte dem Verein der Blau-Kreuzler an, den mein Großvater in Bromberg gegründet hatte. Dem schwachen Bruder zu Trost und Hilfe hatte Großvater das Trinken von alkoholischen Getränken aufgegeben. Er trank nur noch Milch, Saft und Tee und hielt bei Hochzeiten flammende Reden gegen den Alkohol und seine grauenhaften Folgen. Um den Herrn Pfarrer nicht zu kränken, klebten die Brautväter vorsorglich Saftetiketten auf die Weinflaschen und gossen den Schnaps aus Krügen in Wassergläser.
    Als Großvater das Bromberger Pfarrhaus verließ und sein Sohn den Platz für ihn einnahm, legte der Ältere dem Jüngeren seine Sorgenkinder ans Herz. Unter diesen befand sich auch Bruder Melbusch, alt, arbeitsscheu, selten nüchtern, aber fromm. Vati nahm ihn als Gärtner in Dienst. Die meiste Zeit lag Bruder Melbusch, blau wie ein Veilchen, im Garten und schlief. In diesem Zustand war er ungefährlich. Wir konnten uns hinter ihm verstecken und neben ihm Fußball spielen, er wachte nicht auf. Schlimm wurde es nur, wenn er ein neues Enthaltsamkeitsgelübde abgelegt hatte und nüchtern war. Dann ärgerte ihn jede Birne, die vermostet, und jede Kartoffel, die verschnapst hätte werden können. Zornig riß er das Unkraut samt den Blumen aus den Rabatten. Er warf mit Erdklumpen nach allem Lebenden, besonders aber nach uns Kindern, die wir seine Ohren mit Lärm peinigten. Während der Abendandacht hockte er mürrisch auf der Ofenbank. Durfte er sich ein Lied wünschen, dann war es: »Strafe, strafe, spricht der Herr...« oder »Mit Ernst o Menschenkinder...«.
    Hatte er aber irgendwo ein Fläschchen Bier, Wein oder Schnaps erwischt, dann wurde er freundlich und sanft. Er unterbrach die Schriftlesung bei der Abendandacht und rief begeistert dazwischen: »Halleluja, Amen, Amen!« Er wünschte sich: »O, daß ich tausend Zungen hätte« und sang so donnernd, daß man glauben konnte, ein Teil dieser Zungen wäre ihm schon vom Herrn

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