Pfarrers Kinder Muellers Vieh
stand es mit unserer Verständigung denkbar schlecht. Sie war der deutschen Sprache nicht mächtig, und ich konnte kein Portugiesisch. Also einigten wir uns auf ein beiderseitig mangelhaftes Schulenglisch. Alles, was Marie-Antoinette ungern tat und hörte, verstand sie einfach nicht. Auch sonst entsprach sie in keiner Weise meinen Vorstellungen von einer idealen »Pfarrmagd«. Mir schwebte ein sauberes ältliches Wesen vor, genügsam und treu, das des Morgens früh aufsteht, mit leisen Schritten durch das Haus eilt, Öfen schürt und Brötchen holt; das den Boden scheuert und den Garten umgräbt, und dies alles nur für ein huldvolles Lächeln der Pfarrfrau und für deren abgetragene Kleider. Nein, mit einer Pfarrmagd dieser Güte hatte Marie-Antoinette nichts gemein, und leider bin ich einem solchen Wesen auch nie begegnet. Es muß aber einmal existiert haben, denn ich habe davon gehört und gelesen.
Die dienstbaren Geister in meinem Elternhaus waren sehr beherrschende Persönlichkeiten. Ob sie nun Else, Genia, Lena oder Ilse hießen, es war klug, sich gut mit ihnen zu stellen und schleunigst zu verschwinden, wenn sie wütend waren.
Genia kochte wie ein französischer Küchenmeister. Sie zauberte sogar in Kriegszeiten noch köstliche Menüs auf den Tisch. Wir Kinder aber fürchteten sie wie den leibhaftigen Teufel. Sie hatte feuerrote Haare, eine gellende Stimme, hart zupackende Hände, und sie haßte Kinder in der Küche. Wollte oder mußte einer von uns Geschwistern seinen Mut beweisen, dann galt es als die gefährlichste Aufgabe, in die Küche zu schleichen und irgendein Beweisstück mitzubringen: einen Löffel vom Buffet, ein Glas vom Abwaschtisch oder, als großartigste Leistung, etwas Gutes aus der Speisekammer. Während dieser Mutprobe saßen wir anderen unter dem Küchenfenster und lauschten, irgendetwas Schrecklich-Schönes würde auf jeden Fall passieren. Genia fluchte. Sie konnte minutenlang auf polnisch fluchen, ohne sich ein einziges Mal zu wiederholen. Wir sprachen leise und andächtig mit.
Ich habe als Kind recht gut polnisch gesprochen, aber das einzige, was ich heute noch wirklich beherrsche, ist die Nationalhymne und eine reichhaltige Kollektion von Flüchen. Von diesen beiden Fähigkeiten profitiere ich viel. Jeder Zuhörer ist begeistert, wenn ich die polnische Nationalhymne schmettere. Gastgeber von Parties bitten mich inständig, doch diese Nummer zum Besten zu geben, um damit die müde Gesellschaft wieder anzukurbeln und dem ganzen Abend ein kosmopolitisches Gepräge zu geben. Bei diesen Vorführungen erscheine ich auf einmal in östlich-apartem Licht. Man rühmt sogar die mir verhaßten breiten Backenknochen. Ich höre beglückende Schmeicheleien und blühe dementsprechend auf. Auch die Fähigkeit, polnisch fluchen zu können, ist für mich von hohem Wert. Ich kann meinem Zorn jederzeit Luft machen, ohne befurchten zu müssen, eine Beleidigungsklage an den Hals zu bekommen. Nur muß ich hier mit Vorsicht zu Werke gehen.
Bei einer Gesellschaft wurde ich gebeten, etwas mehr von der polnischen Sprache zum Besten zu geben. Nach der gesungenen Nationalhymne sollte ich noch ein paar Sätze sprechen, damit man den Klang der Sprache ins Ohr bekäme. Also ließ ich mit freundlichem Gesicht und höflichem Lächeln meine Flüche vom Stapel. Die Zuhörer waren fasziniert. Wie fremdartig und urwüchsig diese Sprache aus dem Osten doch klang! Ein Oberstaatsanwalt bat mich, ihm Polka beizubringen, einen Tanz, den er für typisch polnisch hielt. Auch die anderen Gäste wollten Polka tanzen, und so gab es viel Wirbel und Spaß. Als die Tänzer müde waren und erschöpft ins Freie strömten, setzte sich ein älterer Herr neben mich. Er stellte sich als Nikolas Dombrowsky vor und fragte so nebenbei, ob ich eigentlich wüßte, was ich da eben alles gesagt hätte. Ich antwortete nicht, sondern lächelte nur geheimnisvoll. Er eröffnete mir, daß er aus Warschau stamme und polnisch spräche. Er würde mir meine Worte gerne übersetzen, wenn er sie deutsch über die Lippen brächte.
»Passen Sie auf.« sagte er und hielt mir ein Glas Wodka an die bleichen Lippen, »Sie haben die Leute eben ganz fürchterlich beschimpft. Jeder hier könnte Sie wegen grober Beleidigung vor Gericht bringen!« Er lachte. »Von mir erfährt niemand etwas, aber Sie sollten sich vor dieser Darbietung immer erst erkundigen, ob polnisch sprechende Mitbürger in der Nähe sind.« Diesen weisen Rat habe ich seither immer
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