Pfefferbeißer - Harz Krimi
sie wieder arbeiten musste und Gefahr lief, entdeckt zu werden?
Schließlich war sie jetzt Verdächtige in einem Mordfall.
»Musste das sein?«
Plötzlich stand der verärgerte Keilberth vor ihr. Eine Sekunde überlegte
Sina, ihn einfach zu ignorieren, als ob die Spezies Kriminalrat nicht
existieren würde. Doch dann machte sie es anders.
»Was meinst du, Heinz?«
»Einfach ins Rathaus zu platzen wie bei einer Razzia. Sandrock hat
mich eben angerufen, ob wir keine Manieren hätten. – Da hat er verdammt
noch mal recht! Er wollte die Ermittlungen unterstützen, und es gibt keinen
Grund, das Gegenteil anzunehmen. Ich verstehe nicht, warum du mir so in den
Rücken fällst, Sina!«
Er schien wirklich enttäuscht zu sein. Enttäuscht darüber, dass seine
Leute arbeiteten, um einen Fall aufzuklären, und dabei eine seiner heiligen
Kleinstadtkühe bedrängt hatten.
»Gute Idee! Eine Razzia ist im Rathaus wahrscheinlich längst überfällig«,
provozierte Sina weiter. »Ich bin eine im Auftrag des Staates ermittelnde Polizeibeamtin,
Heinz, und vor dem Gesetz sind alle gleich. Ist doch für uns beide nichts
Neues, oder?«
Dass ihn der Ton auf die Palme bringen musste, war ihr klar. Aber
was wollte er ständig von ihr? Sie arbeitete auf ihre Art, so schnell und
konsequent wie möglich. Sie brauchte keine Belehrungen, wie sie sich zu
benehmen hatte.
Keilberth zog einen Umschlag hervor, den er unauffällig hinter seinem
Rücken versteckt gehalten hatte, und klatschte ihn vor Sina auf den Tisch.
»Hier ist das, was du unbedingt haben wolltest. Maren Brandstätter
hat mir die Akte gerade persönlich vorbeigebracht. Mit schönen Grüßen vom OB , damit der Eindruck erst gar nicht aufkommt, dass
hier gemauert werden könnte, hat sie gesagt.«
»Das wäre nicht nötig gewesen«, ließ sich Sina nicht aus der Spur
bringen, obwohl er es geschafft hatte, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen,
»aber es spart Zeit, wenn wir sie jetzt schon haben. Die Unterlagen sind
essenziell für die Ermittlungen.«
Sie wusste nicht, ob das stimmte, da sie keine Ahnung hatte, was
dieser Pappmantel, der vor ihrer Nase lag, beinhaltete. Aber sie genoss das
Zucken des kleinen Muskels unter Keilberths rechtem Augenlid bei dem Wort
»essenziell«, das sie so beiläufig wie möglich hatte fallen lassen. Dieses Wort
gehörte nämlich in seinen Wortschatz. Er sollte ruhig
wissen, dass sich die vermeintlich dummen Kollegen von seinen zugespitzten
Formulierungen schon lange nicht mehr beeindrucken ließen.
Doch Keilberth zankte nicht zurück, rannte nicht wütend hinaus und
knallte nicht die Tür – das hätte zumindest die Atmosphäre wieder
gereinigt –, stattdessen sagte er versöhnlich: »Sina, ich will deine
Methoden nicht kritisieren, aber du wirst doch einsehen, dass diese Art nicht
weiterführt. Der Mord an einem Ratsherrn ist nun mal auch ein Politikum, und so
lange der Fall nicht geklärt ist, bleibt alles irgendwie am Rathaus hängen. Und
die haben schon genug Probleme.«
Ich auch, dachte Sina, ihr fiel ihre Männerwirtschaft zu Hause wieder
ein. Aber sie verstand beim besten Willen nicht, warum ausgerechnet mit
zweierlei Maß gemessen werden sollte, wenn es um Politik ging.
»Ich kann bei meinen Ermittlungen keine falschen Rücksichten nehmen.
Tut mir leid, Heinz«, antwortete sie mit fester Stimme.
Er ließ einen Stoßseufzer vernehmen. »Ich habe dich gewarnt. Die
werden dich auflaufen lassen, wenn du ihre Regeln ignorierst.«
Schon geschehen, dachte Sina und sah Keilberth offen, aber diesmal
ohne Herausforderung ins Gesicht. Es gehörte zu ihrem Stolz, für das zu
kämpfen, was sich Recht und Gesetz nannte. Das ließ sie sich von niemandem
nehmen. Von dem Tag an, an dem sie von diesem Stolz etwas hätte hergeben
müssen, wäre sie nicht mehr Sina Kramer gewesen. Wie Keilberth mit seinem Ethos
umging, war nicht ihre Sache. Es war auch nicht der Punkt, ob sie Keilberths Einstellung
schätzte oder nicht. Er hatte gute Gründe für seine Haltung, da war sie sicher,
denn dass Keilberth scharfsinnig einschätzte und sondierte, war ihr seit dem
ersten Tag ihrer Zusammenarbeit bewusst.
»Wünsche einen erfolgreichen Tag!«, sagte der Kriminalrat, drehte
sich um und ließ sie allein.
Für einen Augenblick fragte sich Sina, wie die Ermittlungen in den
Politikerkreisen erfolgreich weitergehen sollten, wenn schon wegen dieser einen
blöden Akte, »Dossier Hokenpassage«, wie die Sekretärin sie hochgestochen
genannt hatte, die
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