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Pfefferbeißer - Harz Krimi

Pfefferbeißer - Harz Krimi

Titel: Pfefferbeißer - Harz Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Diskussionen anfingen. Sie klappte das Ding auf. Beim ersten
Durchblättern stellte sie fest, dass es einige Ausschreibungen in puncto
Architektur und Finanzierung gegeben hatte. Daneben fanden sich diverse Gutachten,
Protokolle von Ausschuss- und Ratssitzungen. Die Vergrößerung der
Gewerbeflächen durch eine weitere Passage in der Innenstadt sollte Goslars
Reize als Einkaufszentrum im Vergleich zu Nachbarstädten wie Wernigerode und
Braunschweig weiter erhöhen.
    Man konnte den Unterlagen entnehmen, dass um das Projekt gerungen
wurde. Aber über Konflikte, die den ermordeten Helmut Hauke hätten in Stress
versetzen können, sagten sie nichts aus. Es fehlte die Geschichte dahinter, die
nur Hauke selbst oder sein Arbeitsumfeld kannte, wenn denn das Motiv zu seinem
Mord hier zu finden war. Sina griff zum Telefon.
    Sie hielt Niebuhr die Akte schon entgegen, als er in ihrem
Büro auftauchte. Er schnappte sie sich im Vorbeigehen: »Ich sehe mir die Sache
mal an. Brauche nicht länger als eine halbe Stunde, okay?«
    Sie nickte. Heute war er ihr eine echte Hilfe. Schon den ganzen
Morgen konnte sie sich nur mühsam konzentrieren. Davon abgesehen verstand Jens
wahrscheinlich mehr als sie von den Verwaltungs- und Verfahrensabläufen, die
aus den Unterlagen nicht hervorgingen.
    Am liebsten hätte Sina die Bürotür abgeschlossen und draußen ein
Schild mit der Aufschrift »Bitte nicht stören!« angehängt. Sie fühlte sich
ausgepowert.
    Letzte Nacht hatte sie wieder nicht richtig geschlafen, sich neben
dem schnarchenden Chao hin und her gewälzt und sich den Kopf zerbrochen. Obwohl
ihr klar war, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als zu akzeptieren, dass sie
augenblicklich ihren Problemen gegenüber ohnmächtig war. Aber gerade das machte sie so fertig. Das Nichts-tun-Können.
    Torsten hatte es nach der Auseinandersetzung mit ihr keine zehn
Minuten mehr in seinem Zimmer gehalten. Ratlos am Küchentisch hockend, hatte
Sina nur noch gehört, wie er die Treppe herunterstürmte und die Haustür hinter
sich zuschlug, um in die Arme seiner Caro zu fliehen. Wieder beschlich sie das
unbestimmte Gefühl, an Torstens Misere schuld zu sein; ein Gefühl, das sie nicht
erklären konnte, das sie aber permanent quälte.
    Doch das war nicht das Einzige gewesen, was an dem Abend nicht
gestimmt hatte. Zwei Stunden später kratzte jemand mit einem harten Gegenstand
von außen am Schloss der Haustür herum. Sie schreckte hoch, war im Wohnzimmer
auf der Couch für ein paar Sekunden eingenickt. Als sie die Tür öffnete, setzte
Chao gerade wieder zu einem Versuch an, mit dem Schlüssel ins Schlüsselloch zu
treffen, und fiel ihr dabei regelrecht in die Arme.
    Umnebelt vom Aroma einer ganzen Brauerei, lallte er unzusammenhängendes
Zeug, hatte anscheinend – so viel kriegte Sina noch aus ihm heraus –
mit dem Bus seiner Studienstadt Clausthal im Oberharz einen Besuch abgestattet
und einen Bekannten getroffen. War auch im »Alten Steiger« gewesen, in dem
Lokal, in dem er und sie sich das erste Mal außerhalb seines Ladens gesehen und
sich Hals über Kopf verliebt hatten …
    Wie einen kleinen Jungen hatte sie Chao im Schlafzimmer aufs Bett
gesetzt, wo er, nachdem sie ihm Schuhe und Hose ausgezogen hatte, wie tot auf
sein Kissen fiel und anfing, brachial zu schnarchen.
    Ihr war wieder bewusst geworden, wie jung Chao noch war. Der eine
Junge namens Torsten bekam viel zu früh Nachwuchs, und der andere namens Chao,
den sie ernst genommen und auf den sie sich schon fast verlassen hatte wie auf
den berühmten Felsen in der Brandung, betrank sich bis zur Bewusstlosigkeit und
verunsicherte sie, ob er die Krise, die er ohne Zweifel durchlitt, bestehen
würde.
    Sie machte Chao keinen Vorwurf. Er war in einem wichtigen Punkt
seines Lebens unglücklich. Ihm fehlte die Anerkennung für eine Arbeit, die ihn
ganz forderte, die ein junger Mensch braucht, der etwas auf sich hält, auf dem
Gebiet, das ihn interessiert. Er war zu stolz, um es zuzugeben. Vermutlich
hatte er sich aus dieser totalen Frustration heraus die Kante gegeben. Aber wie
sollte sie ihm helfen?
    Niebuhr brauchte keine halbe Stunde.
    »Und?«, fragte Sina. Sie war die ganze Zeit, die Ellenbogen auf der
Tischplatte und den Kopf in die Hände gestützt, an ihrem Schreibtisch sitzen
geblieben. Obwohl sie neugierig war, klang ihre Stimme müde.
    Bevor er etwas sagte, faltete Niebuhr seinen langen schlanken Körper
zusammen und zwängte ihn auf einen der herumstehenden Stühle. Dann kam er

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