Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
herum.
»Tom, als du mich gefragt hast, ob wir heiraten, da…hatte ich gerade einen nervenzerfetzenden Fall gelöst. Du hast eine Entführung überstanden. Wir waren beide in einer absoluten Ausnahmesituation.«
Tom sah sie verletzt an.
»Deshalb gilt mein Heiratsantrag dennoch.«
Wie das klang, Heiratsantrag. Nach Biedermeier und Korsett, sonntäglichem Kaffeetrinken mit Schwiegereltern, Streitereien um die korrekte Zubereitung von Weihnachtsgänsen. Katinka hatte Sehnsucht nach einem Bier und absurderweise nach einer Zigarette, obwohl sie seit Jahren nicht mehr rauchte. Nach einem Blues, der auf Gummisohlen dahertappte, schräg und off beat.
Tom, ich liebe dich ja. Wollte sie sagen. Sagte sie nicht. Wenn Hardo sie fragte, ob sie seine Frau werden wollte–was würde sie antworten? Entschlossen schüttelte sie den Kopf.
»Bitte, Tom. Ich…ach, Mist!«
Sie stand auf und ging in die Küche. Im Wohnzimmer brannte noch Licht, Paula lag wohl genauso schlaflos da wie sie und Tom. Katinka holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und schnickste den Kronenkorken am Heizkörper weg. Draußen ging Wind. Sie hörte ihn um die Hausecken heulen. Die Bäume fuchtelten mit ihren Ästen und ließen ihre Blätter auf die Straße rieseln.
»Katinka?« Tom kam auf bloßen Füßen in die Küche getappt. Er nahm sie in die Arme. »Lässt du mich mal trinken?«
Verdammt, sie konnte ihn nicht so enttäuschen. Sie würde keinen besseren kriegen. Sollte sie tatsächlich auf eine Beziehung zu einem zwanzig Jahre älteren Beamten setzen?
»Klar.« Sie reichte ihm die Flasche. Was, wenn sie Tom verlöre? Wenn er es irgendwann müde würde, sich Ausflüchte anzuhören? »Gib mir Zeit, Tom.«
Er trank in großen Schlucken.
»So viel du willst«, entgegnete er und drückte ihr das Bier in die Hand. Sein Blick wich ihrem aus.
Sie küsste ihn zaghaft. Sie mochte seine Lippen. Das oft so spöttische Glimmen in seinen blauen Augen. Sie mochte seinen Geruch und seine Hände und hasste sich dafür, wenn sie in seiner Umarmung an einen anderen dachte. Auch wenn es mehr als fünfzig Prozent aller Frauen so machten. Das hatte sie jedenfalls gelesen.
Der Samstag brachte Temperaturen wie im Spätsommer. Katinka öffnete das Verdeck und lud Paulas Sporttasche ein.
»Was genau willst du von mir?«, fragte sie und lenkte den Beetle zwischen Schlangen von Lkws auf den Berliner Ring. Sie fühlte sich ganz wepsig und war froh, von zu Hause rauszukommen. Das liegt am Wetter, beruhigte sie sich. Keinesfalls an Tom oder an irgendeiner Sache, die Tom und mich betrifft.
»Bleib ein paar Tage bei mir. Komm überall mit mir hin. In die Firma vor allem.«
Katinka konnte sich im Augenblick kaum vorstellen, dass es wirklich jemanden gab, der Paula ans Leder wollte, aber wie sollte man gerade jetzt solche finsteren Gedanken denken? Wie das Mittelmeer gleißte der blaue Himmel, und die Weinberge rechts der Autobahn leuchteten in allen Neonfarben. Von Paulas Gesicht war kaum etwas zu erkennen. Eine großformatige Sechziger-Jahre-Sonnenbrille verdeckte mindestens fünfzig Prozent ihrer weißen Haut.
»Was hast du vor?«, fragte Katinka.
»Ich weiß es noch nicht. Ich gebe die Firma nicht einfach so aus der Hand. Manchmal habe ich das Geschäft gehasst, weil Hagen mehr mit der Firma verheiratet schien als mit mir. Aber immerhin hatte er keine andere Frau.«
»Deine Nacht war ziemlich durchwachsen, oder?«
»Kann man sagen.« Paula lehnte den Kopf zurück. »Ich muss immerzu daran denken, dass ich Hagen betrogen habe. Als er noch lebte, schien mir das legitim, schließlich raubte Hagen mir meine Zeit und meine Jugend und meine positiven Gefühle für ihn, indem er immer nur arbeitete. Aber jetzt denke ich, was für ein Quatsch.«
Schuldgefühle, dachte Katinka. Sie sind immer und überall.
»Ich will das Geschäft unter die Lupe nehmen. Wenn ich mich dafür entscheide, die Firma zu verkaufen, dann weiß ich wenigstens, was ich abstoße.«
Paulas Handy klingelte. Sie sprach kurz, fummelte nervös an ihrer Brille.
»Der Tapir, hm?«, sagte Katinka, als Paula auflegte.
»Wer?«
»Kommissarin Ruth Stein.«
»Du nennst sie Tapir? Das passt!« Paula lachte kläglich. »Sie sagte, ich könnte die Beerdigung planen.«
»Dann geben sie Hagens Leiche frei.«
»Ist das ein gutes Zeichen?«
»Ein schlechtes jedenfalls nicht.«
»Aber sie haben noch keine Ahnung, wer ihn umgebracht hat. Ich kapiere das nicht.«
Katinka sagte nichts dazu. Sie warf einen
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