Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
den Weg erklären. Dass sie sich schon einmal umgesehen hatte, behielt sie besser für sich.
Die Handelsagentur Stephanus wirkte im Hellen noch bescheidener, als sie Katinka in der Nacht vorgekommen war. Der Putz blätterte ab, über dem Eingang war der Verfall besonders deutlich. Die glänzende Fassade der benachbarten Spedition verstärkte den Eindruck noch.
Der Audi vom Dienstagabend stand neben der Eingangstür. Sonst war der Parkplatz leer.
»Das Auto gehört Josef«, erklärte Paula und löste den Sicherheitsgurt.
»Seit wann arbeitet er für euch?«
»Schon seit Bestehen der Firma. Das sind jetzt knappe sechs Jahre.«
»Was sollte ich über Wertinger wissen?«
»Er stammt aus Landshut. Ein Altbayer mit Animositäten den Franken gegenüber.« Paula lachte.
»Gab es irgendwann schon mal Probleme mit ihm?«
»Absolut nicht. Hagen mochte seine Zuverlässigkeit. Josef identifiziert sich zu hundert Prozent mit dem Geschäft. Reißt sich den Arsch auf, um neue Kontakte herzukriegen.«
»Keine Konflikte? Streitereien, Genörgel, Meinungsverschiedenheiten?«
Paula schüttelte mit Bestimmtheit den Kopf.
»Da fällt mir beim besten Willen nichts ein.«
»Gehen wir!«, sagte Katinka und stieg aus. »Und sieh zu, dass er dir den Vertrag aushändigt, den du unterschreiben sollst, damit du ihn einem Juristen auf den Schreibtisch legen kannst.«
Paula nickte und ging auf die Tür zu. Katinka folgte in einigem Abstand. Sie sah sich wieder nach Kameras um. Hier war doch eine, direkt über der Tür. Sie filmte den Umkreis der Tür mit einem Durchmesser von maximal drei Metern.
»Paula!« Ein großer Mann, kräftig gebaut, kam durch die Eingangshalle auf sie zu. Er sah ausgelaugt aus. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. »Gut, dass du kommst. Die Polizei war hier…« Er verstummte.
»Das ist Katinka Palfy, Privatdetektivin«, stellte Paula vor. »Josef Wertinger, Buchhalter der Handelsagentur Stephanus .«
Wertinger drückte Katinka widerwillig die Hand.
»Angenehm. Paula, wir müssen reden.«
»Kein Thema, ich will ohnehin mit dir sprechen. Ich bräuchte einiges an Daten von dir.« Paula ging ihm voraus ins Büro.
»Paula, wir müssen die Geschäfte am Laufen halten. Es sind Entscheidungen zu treffen.«
»Wenn ein Mensch stirbt, Herr Wertinger«, sagte Katinka, »dann sollten auch Geschäftsleute zugestehen, dass die Welt für kurze Zeit stehen bleibt.«
»Das werden gerade Sie wissen«, begehrte Wertinger auf. »Was wollen Sie eigentlich hier? Paula, was soll das?«
»Frau Palfy begleitet mich in den nächsten Tagen.«
Wertinger glotzte, riss sich zusammen und sagte:
»Paula. Wir müssen Dinge besprechen. Dieser Vertrag muss unterzeichnet werden. Süßholz wartet.«
»Zuerst brauche ich Einblick. Rundum. In alles.«
Wertinger raufte sich das Haar.
»Süßholz wartet auf deine Unterschrift.«
»Kann er haben«, sagte Paula. »Druck mir den Vertrag aus, und ich lasse ihn prüfen.«
»Spinnst du jetzt vollkommen? Hagen hat den Vertrag schon durchsehen lassen.«
»Bei welchem Anwalt denn? Bei Dr. Siegloch nicht. Ich habe ihn gefragt.«
»Woher soll ich das wissen!« Wertingers Stimme wurde sehr laut. »Ich habe den Text nicht hier.«
Katinka blinzelte Paula zu und schlenderte ins Nebenzimmer.
»He, was treiben Sie denn da!« Wertinger kam hinter ihr her. Katinka blickte auf seine geballten Fäuste.
»Sie stehen ganz schön unter Stress, wie?«, fragte sie.
Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle Wertinger auf sie losgehen. Dann fing er sich, holte tief Luft und sagte:
»Verzeihung. Wir sind alle nervös.«
»Sie haben doch sicher Lagerräume?«, fragte Katinka.
»Eine Abstellkammer. Ein Lager ist zu teuer.«
»Führen Sie mich mal rum?«
Wertinger rieb sich die Finger.
»Jetzt ist es gerade nicht günstig«, sagte er.
»Macht nichts. Ich sehe mich gerne alleine um.«
»Nun warten Sie doch. Ich begleite sie.« Zähneknirschend kam Wertinger Katinka nach.
Er führt sie in zwei kleine Räume, die durch eine Schiebetür verbunden waren. Sie sahen aus wie Katinkas und Toms Kellerabteil. Alte, zerdrückte Kartons, Autoreifen. Katinka buchstabierte die Aufschriften.
»Was war hier drin?« Sie deutete aufs Geratewohl auf einen Karton mit der Aufschrift CO ФЯ auf dem Adressenaufkleber.
»Düngemittel für Brasilien.«
»Das kriegen Sie aus Sofia?«
»Zur Zeit ja. Der südamerikanische Markt ist auf Einfuhren angewiesen. In Brasilien wird der Bedarf an Dünger zur Hälfte aus
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