Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
dachte Katinka. Allmählich müsste bekannt sein, dass Beziehungen Zeit brauchen und man an ihnen arbeiten muss. Sie dachte an sich selbst und Tom. Die Röte schoss ihr ins Gesicht.
»Bei Paula und Hagen war es ähnlich. Ich war nicht begeistert, dass Paula Wirtschaft studiert hat. Vermutlich hat sie Ihnen davon erzählt. Aber nicht, weil ich gewollt hätte, dass sie Jura studiert. Keinesfalls, ich fand damals schon, dass etwas Künstlerisches besser zu ihr gepasst hätte. Haben Sie sich ihre Märchenbücher mal angesehen?«
Katinka schüttelte den Kopf.
»Sie ist ein Kind geblieben, die Paula«, sagte er liebevoll. »Im positiven Sinn. Wie wir uns alle das wünschen. Sie hat nicht vergessen, wie sich das Leben anfühlte, als sie zehn war. Das ist ihre Kraftquelle. Die Hilflosigkeit, das Ausgeliefertsein, all die Gefühle, die ein Kind niederstrecken, und die tiefe Sehnsucht, stark zu sein. Ich bin schon alt. Zu alt, um noch lange für Paula dazusein. Ich wollte, dass sie einen Mann findet, auf den sie sich verlassen kann. Jetzt ist sie allein.«
Katinka wartete eine Weile, aber Gerfried sagte nichts mehr.
»Herr Jäger, rufen Sie mich an, wenn sich etwas tut?«, fragte sie und hielt ihm ihre Karte hin.
Er nahm die Karte. Katinka stand auf und ging. Als sie sich bei den Aufzügen umdrehte, war er eingeschlafen.
17. Mesoltech
»Gerfried leidet an Zukunftsangst«, sagte Katinka, als sie Cuno auf dem Parkplatz vor der Klinik traf. »Aber dabei geht es um Paulas Zukunft, nicht um seine. Der arme Kerl, das Leben hat ihn ganz schön niedergeknüppelt.«
Cuno sah missmutig drein.
»Ich habe mit deiner Freundin telefoniert«, sagte er.
»Mit wem?«
»Ruth Stein. Wertingers Abschiedsschreiben war an Paula gerichtet. Ein Blatt auf dem Beifahrersitz. Darauf stand: Sagt Paula, dass es mir leid tut .«
»Herrgott! Das klingt wirklich wie ein Geständnis.«
»Was hältst du davon, wenn wir irgendwo frühstücken?«, fragte Cuno »Ich muss mir was zwischen die Kiemen schieben. Du weißt ja, Männer sind nicht so zäh wie Frauen.«
Sie saßen im Café Schreier vor ihren dampfenden Tassen. Cuno verspeiste voller Appetit sein Schlemmerfrühstück. Katinka sah ihm grinsend dabei zu.
»Ich glaube nicht, dass dieser Zettel aus Wertingers Wagen ein Geständnis ist«, sagte Cuno. »Zumindest nicht notwendigerweise ein Geständnis des Mordes an Hagen.«
»Warum nicht?« Katinka biss von ihrem Croissant ab.
»Weil es einfach auch etwas anderes heißen könnte: Es tut ihm leid, dass er sich umbringt, weil sie nun in der Firma alleine dasteht.«
»Meinst du, dass Paula das so sieht?«
»Paula vielleicht nicht, aber Wertinger!« Cuno tupfte sich die fettigen Lippen ab. »Er hatte nichts anderes mehr, wo er großartig sein konnte.«
Katinka antwortete nicht. Eine dumpfe Müdigkeit blähte ihren Körper auf und machte ihn schwer. Unschlüssig drehte sie ihre Tasse. Tom. Sie wollte ihn nicht mehr anrufen. Sie hatte es oft genug probiert.
»Mir ist das ein bisschen zu viel Suizid«, erklärte Cuno. »Naja, du wirst den Fall bestimmt lösen.«
»Welchen Fall?«, kaute Katinka. »Spinnst du jetzt?«
»Meine Heuer endet heute«, sagte er. »Was kann ich schon noch tun? Mein Bus sehnt sich nach der Autobahn.«
»Das machst du nicht!«, sagte Katinka. »Heute ist erst der dritte Tag. Du bleibst und tust was für dein Geld.«
Er grinste breit und bestellte noch ein Spiegelei.
»Na gut, überzeugt. Übrigens hat mir Wertinger gestern etwas in die Hand gedrückt.« Er verrenkte sich den Arm, während er in seinen Jackentaschen wühlte. »Hier, der Vertrag.«
Katinka streckte die Hand aus. Das Konvolut bestand aus drei Seiten. Sie faltete die Blätter auseinander.
»Das ist der Vertrag?«
»Genau. Ich habe ihn gelesen.« Cuno rührte in seinem Kaffee. »Das ist nichts Besonderes, Katinka. Wir können das Geschreibsel zu einem Anwalt tragen, aber meinem laienhaften Urteil nach handelt es sich um eine ehrliche, normale Abmachung. Die Handelsagentur Stephanus liefert der Firma Mesoltech Solarflüssigkeit.« Er tippte auf die Papiere. »Der Preis ist klasse für den Abnehmer, Hagen Stephanus hätte nicht sehr viel daran verdient. Wahrscheinlich hat er nicht sofort unterschrieben, weil er sich überlegte, ob er sich auf Dumpingpreise einlassen soll. Aber besser ein mikroskopischer Umsatz als gar keiner.«
Katinka überflog den Vertrag, durchschaute die juristischen Floskeln nicht und vermutete hinter jeder Zeile bewaffnete
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