Pfeilgift: Katinka Palfys Siebter Fall
beste Verbindungen.« Er blickte sie mit unschuldigen Rehaugen an. Er merkt was, dachte Katinka. Das hat mir gerade noch gefehlt.
»In Schweinfurt kenne ich keinen Menschen. Ich muss Ruth Stein anrufen. Aber zuerst will ich zu Paula in die Klinik. Kommst du mit?«
»Da wirst du keinen Erfolg haben. Ihr Vater, ihr Bruder und ihr Liebhaber halten abwechselnd Wache.«
Gerfried Jäger saß zusammengesunken in der Sofaecke vor der Intensivstation.
»Guten Morgen, Herr Jäger«, sagte Katinka und setzte sich neben ihn.
Er sah sie mit verschleiertem Blick an.
»Ach, Sie sind das«, sagte er gleichgültig.
»Wie geht es Paula?«
»Sie ist noch nicht bei sich«, murmelte Paulas Vater. Seine Stimme war grau vor Verzweiflung. Katinka schämte sich beinahe ihrer unbändigen Freude, die bei jedem winzigen Gedanken an die vergangene Nacht überschäumte.
»Was meinen Sie? Bei sich?«
»Es wird noch dauern, bis die Ärzte definitiv sagen können, ob sie überhaupt wieder aufwacht. Ich wusste, dass Hagen Tranquilizer verschrieben bekam, aber er sagte einmal zu mir, die Nebenwirkungen hätten ihn so fertig gemacht, dass er schließlich ganz auf die Tabletten verzichtete.«
»Er hat also ein paar Schachteln gesammelt, oder?«
Jäger nickte. Er war bleich. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Er wirkte sehr alt.
»Waren Sie die ganze Nacht hier?«
»Nein, ich bin um kurz vor sechs gekommen. Vorher war Henz bei ihr.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung, dass sie einen Liebhaber hat. Aber wie kann ein Vater so etwas wissen? Paula hat sich mir nie anvertraut. Sie hat immer alles mit sich selbst ausgemacht. Ich hatte nie Probleme mit ihr. Als Teenager flippte sie manchmal aus, aber das ist doch normal. Nicht wahr?«
Katinka nickte.
»Ihr fehlte die Mutter. Eine weibliche Bezugsperson, das hätte sie gebraucht, aber ich habe nie wieder jemand kennengelernt, nachdem meine Frau gestorben war. Sie hatte Krebs, hat Paula Ihnen das erzählt? Sie hat sich so vor dem Tod gefürchtet, und dann lag sie eines Tages tot im Bett, einfach so. Sie war ausgezehrt von der Chemotherapie und hätte nicht mehr lange gelebt, aber ich habe im Mülleimer eine Schachtel Tabletten gefunden. Sie hat sie genommen, ich bin mir ganz sicher, sie wollte lieber selber Schluss machen, als an den Schmerzen kaputtgehen. Einer Obduktion habe ich mich verweigert. Sie brauchte so dringend ihren Frieden.« Jäger lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Paula hat immer viel mehr mit Männern zu tun gehabt als mit Frauen. Sie hatte keine beste Freundin, wie die meisten Frauen.« Er blinzelte und sah Katinka entschuldigend an. »Ist doch so, oder? Frauen haben beste Freundinnen.«
Katinka lächelte unbestimmt.
»Es tut mir in der Seele weh, dass Paula ausgerechnet Bernhild als Schwiegermutter bekam. Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich kann man den Ehemann nicht nach der Schwiegermutter aussuchen.«
Sollte man nicht, dachte Katinka.
»Aber alle in der Familie Stephanus begegnen Paula mit Kälte. Außer Hagen, natürlich. Wobei ich mir nicht mehr so sicher bin, wie Paulas Verhältnis zu ihrem Mann war.« Er seufzte. »Ich habe gedacht, wenn sie schon keine Mutter hatte, dann sollte sie wenigstens eine Schwiegermutter bekommen. Ich stellte mir einen mütterlichen Typ vor, eine Frau, die aus Speck und Herz besteht. Dann sah ich Bernhild. Mir rutschte das Herz in die Hosentasche.«
»Paula leidet sehr an der Lieblosigkeit in ihrer Umgebung, wollen Sie das sagen?«, fragte Katinka.
Jäger schob die Unterlippe vor und nickte.
»Wertinger hat sie Sonntagnacht verprügelt«, sagte Katinka. »Wussten Sie das?«
»Man hat es mir gesagt. Als Vater habe ich nie viel getaugt. Den Kriminellen gegenüber machte ich meinem Namen alle Ehre«, er lächelte melancholisch, »aber für Paula und Godhard war ich eine Belastung. Ich habe versagt. Ich muss es so hart sagen. Versagt.«
»Was wissen Sie denn von Paulas Beziehung zur Firma und zu Wertinger?«
»Sehen Sie, alle Beziehungen enden an dem Punkt, an dem die Frau dem Mann vorwirft, nur für den Beruf zu leben.« Er schloss wieder die Augen. Katinka dachte, er würde einschlafen, aber er sprach weiter. »Bei mir war es so. Monika, meine Frau, litt darunter, dass ich viel unterwegs war, am Wochenende im Einsatz war, dass ich mein Aktenstudium sehr genau nahm. Ich war nicht greifbar für sie und die Kinder, und ich habe erst nach ihrem Tod gemerkt, dass es ein Fehler war.«
Sonderbar,
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