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Pferde, Wind und Sonne

Pferde, Wind und Sonne

Titel: Pferde, Wind und Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cescco
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Der Hengst schien sie zu erkennen.
    Sie kam ihm ganz nahe, ohne ihn zu berühren. >Glanzstern< verharrte regungslos, doch unter seinem Fell zuckte ein Muskel, dann ein anderer. Die Augen leuchteten, die Nüstern bebten. Plötzlich senkte er den Kopf. Impulsiv schlang Karin ihm beide Arme um den Hals und drückte ihr Gesicht an seinen Kopf. Mit den Fingerspitzen kraulte sie die empfindliche Stelle zwischen den Augen. Der Hengst schnaubte. Karin spürte nicht mehr das drohende Gewitter, nicht das Knistern der Luft. Doch plötzlich bebte der Hengst und erstarrte. Beunruhigt spitzte er die Ohren. Seine Nüstern blähten sich auf; er sog Luft ein. Karin sah an seiner Flanke einen großen feuchten Fleck. Um ihn zu besänftigen, holte sie aus ihrer Tasche Zuckerstücke hervor. >Glanzstern< nahm sie aus ihrer Handfläche. Dann faßte er ihr Handgelenk mit seinen großen, weichen Lippen und den Zähnen.
    »Wie kann man sagen, du seist verwildert und verrückt?« flüsterte Karin.
    Plötzlich kam ihr der unwiderstehliche Wunsch, sich auf seinen Rücken zu schwingen. Sie verdrängte die Stimme der Vernunft, die sie warnte. Sie war fest davon überzeugt, es würde ihr das gelingen, was allen anderen bisher mißglückt war! Ja, sie würde es schaffen, und Tante Justine... Jäh brachen ihre Gedanken ab-
    Ihr Zögern hatte nur Sekunden gedauert. Schon umfaßte sie mit beiden Händen die harte, struppige Mähne. Doch im gleichen Augenblick flammte ein Lichtschein auf. Ein Blitz zuckte über die Meeresfläche. Ohrenbetäubender Donner folgte, und der Erdboden dröhnte dumpf.
    >Glanzstern< war zur Seite gesprungen. Sein Fell glänzte wie Metall unter dem Aufleuchten des Blitzes. Karin spürte ihr Herz hämmern. Ihre Knie zitterten so stark, daß sie glaubte zu stürzen. »Das Gewitter wird alle im >Mas< geweckt haben«, dachte sie erschrocken. »Mireille merkt bestimmt, daß ich nicht im Bett liege. Ich muß sofort zurück...« Sie lief zu >Rosa< und löste die Fessel. In ihrer Aufregung verfehlte sie den Steigbügel. Heftig schlug ihr Gesicht an das harte Leder des Sattels.
    >Glanzstern< war bis an den Rand der anbrandenden Wellen zurückgewichen. Mit zornigen, trotzigen Bewegungen drehte er sich um sich selbst, als wollte er einen Gegner, der von allen Seiten auf ihn eindrang, herausfordern. Karin grub ihre Absätze in >Rosas< Flanken. Unaufhörlich rollte der Donner. Atemlos beugte sich Karin über den Hals ihrer Stute. Schneller, noch schneller! Das unbewegliche Schilf und die dunkelglasige Fläche der Seen waren in gespensterhaftes Licht getaucht. Ein gewaltiger Wolkenstrudel kreiste am Himmel. Plötzlich flog eine violette Flamme über das Wasser, sie schien aus dem See emporzusteigen und fegte über die Landschaft. Es war Karin, als würde der Himmel bersten. Eine blendende Zickzacklinie teilte die Wolken und schoß auf die Erde nieder, während in kurzer Entfernung ein brennender Baum in der Finsternis aufflackerte. >Rosa< wieherte vor Entsetzen und raste wie gehetzt davon. Halbtot vor Schrecken umklammerte Karin die Zügel. Kaum fünfzig Meter von ihr entfernt brannte der vom Blitz getroffene Baum wie eine Fackel. Das dürre Holz knarrte und ächzte, Feuergarben sprühten auf. Geblendet, verwirrt stampfte >Rosa< durch den Sumpf. Schlamm spritzte auf unter ihren Hufen. Endlich gelang es Karin, das Pferd wieder in ihre Gewalt zu bekommen und auf festen Grund zurückzuleiten.
    Zum Glück konnte sich das Feuer nicht weiter ausbreiten, da der Blitz auf einer kleinen Insel eingeschlagen hatte. Das Maul schaumbedeckt, sprengte >Rosa< den Kanal entlang, durch den beißenden Dunst des brennenden Holzes. Im See spiegelte sich der Baum wie eine glühende Doppelblume. Karin sah, wie die brennenden Zweige sich krümmten, auseinanderbarsten und zischend ins rötliche Wasser fielen.
    Ein warmer Tropfen traf ihre Wange, dann noch einer. Endlich Regen! Es war ein langsamer, schwerer Regen. Es roch nach staubiger Erde, nach faulenden Pflanzen. Mit trockener Kehle atmete Karin gierig die frische Feuchtigkeit ein. Immer schneller prasselten die Tropfen auf Rücken und Schultern. Karin hörte sie im Schilf knistern und in den Baumkronen rauschen. Ein undurchdringlicher Wasservorhang fiel vom Himmel, so als ob sich plötzlich die ganze Wolkenmasse auf die Erde gesenkt hätte. Karin sah überhaupt nichts mehr. Bis auf die Haut durchnäßt, blinzelte sie in die Dunkelheit. >Rosas< nasses Fell verbreitete einen herben, fast schwefelartigen Geruch.

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