Pferdekuss
geschehen sind.«
»Hm. Jedenfalls«, sagte der Hauptmeister, »habe ich mich aktenkundig gemacht. Als Unfallursache wurde damals nicht angepasste Geschwindigkeit angenommen, neunzig bis hundertzehn Ka-em-ha. Der Sachverständige hat das aufgrund der Schleifspuren in der Wiese und des Aufpralls auf den Baum errechnet. Eine höhere Ge schwindigkeit schließt er aufgrund der Straßenverhältnis se, und weil Bremsspuren nicht vorhanden waren, aus. Sie sind in der Tat ungebremst aus der Kurve getragen worden. Und nun frage ich Sie: Haben damals die Bremsen versagt?«
»Ich weiß es nicht. Wirklich nicht.«
»Und wie war das nun gestern Nacht? Sie haben das Bremspedal betätigt.« Weckerle blickte mich an, als kä me es darauf an, dass ich jetzt nichts Falsches sagte.
»Ich hatte das Gefühl, ins Leere zu treten. Da musste ich mich aber auch schon entscheiden, was ich tue, um den Zusammenstoß mit dem anderen Auto auf der Landstraße zu vermeiden, und habe Gas gegeben. Was sagt denn der Sachverständige?«
»Die Bremsleitung beim rechten Vorderrad ist abgerissen. Wie Sie vielleicht wissen, sitzt der Schlauch auf einem festverschweißten Nippel und wird mit einer Schlauchschnalle festgehalten. Dieser Nippel ist abgebrochen. Er war offensichtlich bereits weitgehend durchgerostet. Der Schlauch könnte aber auch erst abgerissen worden sein, als Sie über die Wiese rutschten. Wann waren Sie denn das letzte Mal in der Inspektion?«
»Erst kürzlich.«
»Möglicherweise war nämlich die Verbindung undicht, sodass bereits seit längerem Bremsflüssigkeit austrat. Aber Sie hätten es in jedem Fall bei Fahrtantritt bemerken müssen. Die Warnleuchte an Ihren Armaturen leuchtet auf.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass sie aufgeleuchtete hätte.« Ich konnte mich daran wirklich nicht erinnern.
»Hm. Es ist ein altes Auto.« Der Polizist wiegte den Kopf. »Allerdings war auch das Handschuhfach nicht abgeschlossen. Da könnte man jetzt natürlich sagen, es könnte jemand die Motorhaube geöffnet haben, um den Kontakt für die Warnleuchte zu unterbrechen. An die Bremsleitung kommt man allerdings besser von unten. Aber es dauert einige Zeit, bis die Flüssigkeit rausgetropft ist.«
Weckerle baute goldene Brücken.
»Der Wagen von Ihrem Unfallgegner hat Totalschaden. Die Achsen sind verschoben. Das ist so ein tiefergelegter GTI. Seine Versicherung kann einen Teil seines Schadens bei Ihrer geltend machen. Aufgrund seines Blutalkoholgehalts von 0,4 Promille muss allerdings von einem Mitverschulden des Unfallbeteiligten ausgegangen werden. Nun ist es aber so, dass Ihre Versicherung natürlich keinen Pfennig zahlt, auch Ihnen nicht, wenn der Unfall durch Manipulation eines Dritten ursächlich herbeigeführt wurde. Dann sind Sie ja nicht schuld.«
»Ih!«
»Ah, jetzt wachen Sie auf, gell?«
»Also«, sagte ich, »ich habe keinen Anhaltspunkt da für, dass mir jemand Schaden zufügen wollte oder an meinen Bremsen war.«
Der Polizist hüstelte und schob die Unterlagen auf dem Tisch hin und her. Dann sah er mich an.
»Wissen Sie, mein Vater war einer jener Obstbauern, die der alte Gallion ruiniert hat. Eigentlich hätte ich Obstbauer werden sollen. Aber mein Vater musste den Hof verkaufen. Sicher, Gallion hat viel für den Ort getan. Die Fußgängerzone, das Kriegsgefallenendenkmal, die Festhalle, das hat alles er gespendet. Aber mein Vater hatte natürlich nichts davon. Ihren verstorbenen Gatten kannte ich als integeren Mann. Er hat sich, wie mir schien, wirklich bemüht, die hiesigen Obstbauern durch Abnahmegarantien wieder zu stärken. Aber nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich will Ihnen keinesfalls ir gendetwas einreden. Wenn Sie sagen, dass Sie keinen Grund haben, den Herrschaften vom Gestüt irgendwelche unlauteren Absichten zu unterstellen, dann will ich Ihnen folgenden Vorschlag machen: Der Gutachter stellt hier nur fest, dass die Bremsanlage infolge von Korrosion vorgeschädigt gewesen sein könnte. Offensichtlich funktionierte auch die Warnlampe nicht.« Weckerle machte eine Pause, die mir verdeutlichen sollte, dass meine Aufmerksamkeit für Emmas Gesamtzustand an Fahrlässigkeit grenzte. »Aber wenn Sie belegen können, dass Sie vor Kurzem den Wagen in der Inspektion hatten …«
Ich nickte heftig.
»… dann belassen wir es dabei.«
Sympathie schwankte über den Tisch hin und wider. Doch in keinem Fall durfte ich der Dankbarkeit dafür, dass er mir die Versicherungshaftung rettete, deutliche Worte verleihen.
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