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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Blätter.
    »Isser oben?«
    Sie nickte.
    Ich stieg im Haus die Stiege hinauf.
    Der General saß in seiner finsteren Ecke unter der Eichen-Schrankwand und studierte das Süddeutsche Elite- und Sporthengstbuch. Er linste nur kurz über den Rand seiner Lesebrille hinweg und fuhr dann mit dem Studium typenvoller Modelle aus dem ägyptischen Staatsgestüt Al Zahara’a fort, die von der Trockenheit ihres Ursprungslandes geprägt waren und seit Kriegsende die Grundlage für die Zucht des Gestüts Weil im Haupt- und Landesgestüt Marbach bildeten. Stuttgart, sagt man, komme von Stutengarten. König Wilhelm I. hatte Anfang des 19. Jahrhunderts die ersten Araber aus dem Orient eingeführt. Sie kamen alsbald von Weil nach Marbach, das sich heute Hauptgestüt nennt, weil es eine Stutenherde hält, nicht nur Zuchthengste. Aber Gallion war im Beg riff, dem Landesgestüt den Rang abzulaufen. Auch er hielt eine Stutenherde, hatte fünfundzwanzig Angestellte und Kosten von gut einer halben Million Mark im Jahr.
    Ich stellte mich ans Fenster. Wenn meine Mutter mich früher zum Milchholen zum Bauern schickte, dann wartete ich mit dem Milcheimer in der Hand auf dem Hof zwischen den Hühnern, bis die Bäuerin kam und fragte, was ich wollte. Niemals stöberte man den Bauern ir gendwo auf und sprach ihn an, bevor er zeigte, dass er zum Reden bereit war.
    Der General klappte das Buch zu. »Was willst du?«
    »Wir müssen mal vernünftig miteinander reden.«
    Er nahm die Brille von der Hakennase. »Dann komm her und setz dich.«
    Ich durchquerte das Zimmer und setzte mich ans fernste Ende des Sofas. »Ich habe deiner Tochter gestern zugeraten, dass sie dir Gift in die Suppe tut.«
    Friedrich Gallion lehnte sich ins Sesselpolster zurück. »Wozu? Sie kriegt doch sowieso alles. Kann sie’s nicht abwarten?«
    »Hast du denn dein Testament gemacht?«
    »Ja, und du kriegst nichts.«
    »Warum hast du solche Angst vor mir, Schwiegerva ter? Glaubst du, ich kann dir gefährlich werden, dir und deinen Plänen mit Siglinde? Kann ich ihr noch irgendetwas wegnehmen? Irgendetwas, was du nur ihr gönnst und nicht einmal deinem Sohn gegönnt hast und schon gar nicht seiner Frau. Ja, Schwiegervater, wenn ich mich erinnern könnte an den Unfall und wenn ich gar beweisen könnte, was damals passiert ist, dann müsstet ihr vielleicht Angst haben. Wenn ich zum Beispiel mit Bestimmtheit sagen könnte, dass Todt den Porsche zweimal in die Werkstatt bringen musste, weil etwas an der Brem se war. Jedes Mal war es nur die Bremslichtschraube, die fehlte. Als die Warnlampe zum dritten Mal leuchtete, fuhren wir nach Stuttgart und zurück. Und dann war es aus.«
    Des Generals Augen bohrten kleine Löcher in die Wand gegenüber. Es ruhte kein Segen auf der Familie, hätte meine Mutter gesagt. Das kam daher, dass Friedrichs Vater in Polen als Gauleiter die Pistole vor sich auf den Tisch legte, wenn Bittsteller kamen, auch als Ehlert kam, der Landstallmeister des Hauptgestüts Trakehnen, dem er die Räumung des Gestüts verbot. Als die Flucht vor der Sowjetarmee dann doch am 17. Oktober 1944 mit 800 Stuten begann, trug Friedrich den Fluch des Vaters, der sich erschossen hatte, im Tornister. Er verschrieb sein Leben dem Vollblut und der Auslese der Besten. Dann kam Siglinde und nahm ihm die Frau, jene Edle, die Nolde-Blumen an die Wände hängte und den musischen Sinn ihrem Sohn vererbte. Das Mädchen sollte ihm Trost sein mit seinen hämatitschwarzen Augen. Doch der Sohn nahm ihm auch dies. Nach dem Sturz war Siglinde erst stumm, dann dumm, und dann wurde sie nie wieder dieselbe. Das konnte er nicht verzeihen, dem einen so wenig wie der anderen. So zwang er seine Brut, sich im Wettkampf zu zermürben, wer ihm die Kinder brachte, die er sich wünschte, unschuldige Kinder, deren Gelächter das Haus erhellte.
    »Es war Mord, weißt du, Schwiegervater. Mord.«
    Gallion blinzelte. »Willst du mir drohen? Willst du mich erpressen?«
    »Lass dein Geld stecken. Ich will wissen, warum Todt sterben musste.«
    »Das wirst du selbst am besten wissen.«
    »Ach, hör doch auf. Ich bin nicht schuld an seinem Tod. Du bist schuld. Du hast dein Haus deinen Kindern zur Hölle gemacht. Meine Ehe hast du zerstört mit deinem Gezerfe von Schlappschwänzen und güsten Stuten. Bis ins Bett hat uns dein Nachzuchtgebot verfolgt, bis überhaupt nichts mehr ging.«
    Friedrich Gallion lachte lauthals.
    »Ja«, sagte ich eisig, »kein Mensch kann es dir ver übeln, dass du deine Enkel noch sehen

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