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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wollten doch mit mir reden. Sie haben mich extra gestern angerufen, um mir etwas mitzuteilen, das man nicht am Telefon bespricht. War es das?«
    Bongart seufzte und strich sich über den grauen Schnauzer. »Du meine Güte. Können Sie denn nicht verstehen, dass man mit jemandem reden will, wenn man eben gerade die Leiche seiner Tochter identifiziert hat? Meine Ehe ist kaputt und meine Tochter ist tot. Und die se Kommissarin ist ein Eiszapfen. ›Kennen Sie Ihre Tochter überhaupt?‹ hat sie zu mir gesagt. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Kadaver, der mit Plastik zugedeckt ist, und man zeigt Ihnen nur einen kleinen Leberfleck und behauptet, das sei der Hals. Und sagen Sie mal mit Bestimmtheit, dass Sie dieses Muttermal kennen und dass das Ihre Tochter ist. Da kommen Sie sich doch vor wie ein Prüfling, als müssten Sie noch beweisen, dass Sie der liebende Vater sind. Und dann sitzen Sie in diesem Hotel und stellen den Fernseher an.« Seine Stimme schwankte kurz. »Also gut. Es stimmt, ich war Donnerstagabend in Vingen. Ich habe meine Ex gesucht. Im Haus war niemand, also fuhr ich zum Gestüt. Ihr Auto stand zwar auf dem Parkplatz, aber sie war nirgendwo zu finden. Also bin ich unverrichteter Dinge wieder nach Stuttgart gefahren. Wenn ich mir vorstelle, dass da Vanessa schon …« Er brach ab.
    »Und was wollten Sie von Ihrer Ex? Ich dachte, Sie reden nicht mehr miteinander.«
    »Man kann doch nicht ewig kindisch sein. Es ging um Vanessa. Sie wollte eigentlich immer zu mir nach Stuttgart ziehen. Ich habe immer gesagt, das geht nicht, ich bin zu wenig zu Hause. Aber seit ein paar Wochen merk te ich nun, dass sie es nicht mehr wollte. Und wenn sie mich am Wochenende besuchte, war sie lustlos und verstockt, geradezu abweisend. Ich hatte den Eindruck, da ist irgendwas im Busch. Ich dachte, dass Heide vielleicht weiß, was los ist.«
    »Vanessa hatte einen Freund in Reutlingen«, sagte ich. »Das war der Grund.«
    Bongart fuhr sich übers Gesicht. »Warum hat sie mir das nicht gesagt? Das ist doch normal.«
    »Die erste Liebe ist nie normal. Außerdem hätten Sie den Jungen abgelehnt. Er ist nämlich 22 und einfacher Drucker.«
    Der Vater ächzte. »Wo ist er eigentlich? Wo war er denn, als Vanessa Hilfe brauchte? Wenn ich den erwische …«
    »Die Polizei sucht ihn schon.«
    Bongarts Schnurrbart sträubte sich. »Wenn er meiner Tochter auch nur ein Haar gekrümmt hat, dann gnade ihm Gott!«
    Da bäumte sich die Männlichkeit im grauen Anzug auf. Aber wer an Rache denkt, hat den Tod des eigenen Kindes noch lange nicht begriffen.
    »Hören Sie«, sagte ich, »dieser Ronni hat Ihrer Tochter nichts getan. Sie haben sich immer außerhalb des Gestüts getroffen, und zwar im alten Steinbruch. Er kannte sich im Stall wahrscheinlich gar nicht gut genug aus.«
    »Aber wer tut einem fünfzehnjährigen Mädchen so was an? Wer tut so was? Rammt ihr eine Mistgabel in den Bauch und stößt sie diesem Pferd vor die Hufe. Wa rum bloß? Warum?«
    Ich stellte mir Vanessa vor, allein im dunklen Schulstall, nachdem Petra gegangen ist. Sie wartet auf ihre Mutter und schaut Prinz beim Fressen zu, redet mit ihm. Da kommt jemand, jemand, den sie kennt. Plötzlich hat sie eine Mistgabel im Bauch. Sie taumelt gegen die Bo xentür. Die Tür ist nicht verriegelt und rollt einen Spaltbreit auf. Zwischen Vanessas Fingern quillt Blut aus ihrem Bauch. Sie ist geschockt, unfähig zu schreien, kaum imstande, sich aufrecht zu halten. Sie begreift nicht, was passiert. Sie klammert sich an die Gitter der Boxentür, schiebt die Arme durch, streckt die Hände nach dem Angreifer. Die Mistgabel saust an ihrem Kopf vorbei gegen Prinz. Er schlägt aus und trifft sie am Rücken. Vanessa verliert das Bewusstsein. Ihre Arme verklemmen sich zunächst in den Gitterstäben. Prinz zerschlägt sie, bis sie hinunterrutscht, und tritt in der Nacht verschiedene Male auf den Fremdkörper in seiner Box, der nicht mehr atmet.
    »Schmerzen hat sie mit Sicherheit nicht empfunden«, sagte ich. »Es ging so schnell. Sie hatte keine Zeit dazu.«
    Bongart bedeckte das Gesicht mit den Händen. Er gab sich Mühe, das Unfassbare zu würdigen und an diesem Frühstückstisch mit der Schale Müsli Gefühle zu zeigen, ein Ausgestoßener zwischen Vingener Stadtrandvilla, die ihm verschlossen war, und Stuttgarter Ministerium, das in der kommenden Woche seine Präsenz verlangte.
    »Eines finde ich allerdings seltsam«, begann ich wie der. »Warum fragen Sie sich nicht, wo Ihre Frau

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